1. Gravierende Auswirkungen der Pandemie auf die Tätigkeit des Verwaltungsgerichtshofs
Allgemeine Auswirkungen
Der Verwaltungsgerichtshof stellte - wie die gesamte Justiz in Baden-Württemberg - unmittelbar Mitte März 2020 seinen Dienstbetrieb auf die Erfordernisse der Coronavirus-Pandemie um. Sämtliche mündlichen Verhandlungen wurden zunächst abgesetzt. In kurzer Zeit wurden die Verhandlungssäle an die Hygienevorgaben angepasst. Bereits seit dem zweiten Quartal 2020 können Verhandlungen vor dem VGH in Verhandlungssälen mit Plexiglasabtrennungen für alle Beteiligten durchgeführt werden. Die Zahl der Sitzplätze in den Verhandlungssälen ist bis heute, um die Abstandsvorschriften einhalten zu können, drastisch reduziert worden. Verhandlungen, die ein größeres Interesse der Öffentlichkeit finden, werden mittels Videotechnik in andere Säle übertragen, um sowohl Abstandsvorschriften einhalten als auch das öffentliche Interesse befriedigen zu können.
Durch die Hausordnung des VGH sind die Zutrittsmöglichkeiten im Interesse des Infektionsschutzes beschränkt worden. Im öffentlichen Bereich des VGH besteht Maskenpflicht, ebenso im gesamten internen Bereich mit Ausnahme der Dienstzimmer, die durchgängig nur mit einer Person besetzt sind, allerdings in allen Dienstzimmer sobald sich dort zwei oder mehr Personen zusammen aufhalten.
Bereits am 16. März 2020 wurde allen Richterinnen und Richtern dringend empfohlen, soweit wie möglich von zu Hause aus zu arbeiten. Bis heute machen davon etliche Richterinnen und Richter Gebrauch. Ab dem 23. März 2020 wurde im Geschäftsstellenbereich ein - befristeter - Schichtbetrieb eingeführt, um physische Kontakte zu reduzieren. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zu Risikogruppen gehören, können seit Mitte März 2020 bis heute uneingeschränkt von zu Hause arbeiten.
Geschäftsbelastung durch infektionsschutzrechtliche Verfahren
Der für das Infektionsschutzrecht zuständige 1. Senat ist seit Mitte März 2020 - abgesehen von einem kurzen Zeitraum mit einem etwas geringeren Verfahrenseingang im Sommer 2020 - bis heute außerordentlich mit infektionsschutzrechtlichen Verfahren belastet. Vom 1. März bis zum 31. Dezember 2020 gingen beim Verwaltungsgerichtshof 348 Verfahren mit Corona-Bezug ein. Dabei handelte es sich um 100 Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 1 VwGO (Hauptsacheverfahren), 211 Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (Eilverfahren) und 37 Beschwerdeverfahren nach §§ 80, 123 VwGO. Alle Eilverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO und alle Beschwerdeverfahren nach §§ 80, 123 VwGO wurden abgeschlossen. Von den Normenkontroll-Hauptsacheverfahren waren zum Jahreswechsel noch 57 offen.
Die Eilverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind ausgesprochen aufwändig. Sie erfordern regelmäßig eine eingehende Überprüfung infektionsschutzrechtlicher Vorschriften mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Grundgesetz. Die Bearbeitung und Entscheidung erfolgt unter hohem Zeitdruck, da die Verfahren dringlich sind und die angefochtenen Vorschriften häufiger nur eine begrenzte Zeit gelten.
Aufgrund der außerordentlichen Belastung des 1. Senats haben andere Senate diesem Zuständigkeiten und Verfahren abgenommen. Wegen der - auch aufgrund der erneut starken Zunahme von Asylverfahren - allgemein angespannten Geschäftslage beim VGH hat das Justizministerium zum 1. Januar 2021 einen zusätzlichen Senat beim Verwaltungsgerichtshof eingerichtet.
Rechtsprechung in „Corona-Sachen“
Die Rechtsprechung des VGH zum Infektionsschutzrecht ist ausgesprochen vielfältig. Die wichtigsten Entscheidungen sind in den zahlreichen Pressemitteilungen hierzu, die auf der Homepage des VGH nachzulesen sind, dargestellt. Besonders hervorzuheben sind:
Der VGH hat mit Beschluss vom 9. April 2020 erstmals über eine Betriebsschließung während des ersten Lockdowns entschieden. Gegenstand war die Schließung eines Fitnessstudios. Bereits in diesem Beschluss hat der VGH sehr ausführlich die Frage erörtert, ob es für die die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit empfindlich betreffenden Betriebsuntersagungen einer gesetzlichen Regelung durch das Parlament selbst bedarf oder ob für diese Betriebsuntersagungen die von der Landesregierung durch Verordnung angeordnete Betriebsuntersagung ausreicht. Diese Frage, die im Spätsommer auch die Öffentlichkeit stark beschäftigt hat, ist noch nicht abschließend geklärt und wird voraussichtlich Gegenstand der noch offenen Hauptsacheverfahren nach § 47 Abs. 1 VwGO sein.
Als es im Zuge der sog. Lockerungen im April 2020 dazu kam, dass der vom Lockdown betroffene Einzelhandel wieder öffnen konnte, verständigten sich die Ministerpräsidenten und -präsidentinnen der Länder und die Bundeskanzlerin darauf, dass nur Einzelhandelsgeschäfte mit einer Verkaufsfläche bis 800 m² öffnen dürften und nahm von dieser Begrenzung den Fahrradhandel, den Kfz-Handel und den Buchhandel aus. Mit Beschluss vom 30. April 2020 beanstande der VGH diese Regelung, da in der Privilegierung der drei genannten Branchen voraussichtlich eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung lag. In dieser Entscheidung sprach der VGH ganz allgemein aus, dass der Verordnungsgeber, wenn er Differenzierungen vornimmt, Unterscheidungen nur nach infektionsschutzrechtlichen Kriterien und überragenden Gründen des Gemeinwohls (z.B. Offenlassen des der Grundversorgung der Bevölkerung dienenden Einzelhandels) vornehmen darf.
Im Oktober 2020 entschied der VGH, dass die seit März 2020 andauernde Schließung von Prostitutionsstätten mittlerweile unverhältnismäßig sei und dass das Beherbergungsverbot für Gäste aus deutschen Regionen, in denen die 7-Tage-Inzidenz von 50 neu gemeldeten SARS-CoV-2-Fällen pro 100.000 Einwohner überschritten wurde, ebenfalls unverhältnismäßig sei.
Die Eilanträge gegen die Betriebsschließungen im sog. „Lockdown light“ des Novembers 2020 blieben sämtlich erfolglos. Es sei zwar offen, ob die Betriebsuntersagungen dem Parlamentsvorbehalt und dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprächen, jedoch seien die erheblichen Eingriffe in die Berufsfreiheit der Betriebsinhaber wegen der von der Bundesregierung beschlossenen Entschädigungsleistungen voraussichtlich verhältnismäßig.
Anfang Februar 2021 beanstandete der VGH die landesweite Ausgangssperre. Zur Begründung führte er u.a. an, es fehle mittlerweile - anders als am 18. Dezember 2020 und am 20. Januar 2021, als er bei einem angespannten Pandemiegeschehen Anträge gegen die Ausgangssperre jeweils ablehnte - an einer ausreichenden Begründung dafür, warum die Landesregierung eine landesweite Ausgangssperre aufrechterhalte. Denn § 28a Abs. 3 IfSG enthalte die Grundentscheidung des Bundesgesetzgebers für ein regionales Vorgehen.
Anträge auf Öffnung des Einzelhandels lehnte der VGH Mitte Februar und Anfang März 2021 ab. Insbesondere blieben die Anträge zweier Textilhandelsgeschäfte erfolglos. In den Beschlüssen vom 18. Februar und 2. März 2021 führte der 1. Senat aus, die Gefährdungslage aufgrund des Coronavirus sei weiterhin hoch. Auch auf die mit den Anträgen erstrebte punktuelle Öffnung des Einzelhandels in einigen Regionen hätten die Unternehmen keinen Anspruch. Denn solche Öffnungen könnten zu umfangreichen Kundenströmen zwischen einzelnen Regionen und aus anderen Bundesländern und damit zu erheblichen Infektionsgefahren führen.
2. Geschäftsentwicklung beim VGH
Allgemeine Verwaltungsrechtssachen
Im Jahr 2020 gingen beim VGH 2.233 allgemeine Verfahren ein, was gegenüber dem Vorjahr (2.129) ein Anstieg von 4,8% bedeutet. Die Zahl der Erledigungen betrug 2.162 und erhöhte sich gegenüber dem Vorjahr (1.949) um 10,9%. Der Gesamtbestand der offenen Verfahren am Jahresende stieg auf 942 allgemeine Verfahren an (Vorjahr 870, Anstieg um 8,3%). Die durchschnittliche Dauer aller erledigten allgemeinen Verfahren hat sich unterschiedlich entwickelt. Bei den erstinstanzlichen Hauptsachen (Klagen, Normenkontrollanträge) incl. technischer Großvorhaben sank sie deutlich auf 11,9 Monate (Vorjahr 14,0); mehr als die Hälfte dieser Verfahren (61,7%, Vorjahr 44,4%) war innerhalb eines Jahres erledigt. Die durchschnittliche Verfahrensdauer der erledigten Anträge auf Zulassung der Berufung stieg hingegen von 5,8 Monaten im Vorjahr auf nun 6,1 Monate leicht an, bei den durch Urteil erledigten Berufungen ebenso auf 15,4 Monate (Vorjahr 14,7). Von diesen Verfahren waren 33,4% (Vorjahr 38,6%) innerhalb eines Jahres erledigt. Bei den Beschwerden stieg die durchschnittliche Dauer leicht auf 3,1 Monate an (Vorjahr 2,7).
Die Erfolgsquoten (Stattgabe oder Teilstattgabe) in allgemeinen Verfahren stellen sich wie folgt dar: Berufungen hatten zu 15,6% (Vorjahr 12,6%) Erfolg, erstinstanzliche Hauptsachen (Klagen, Normenkontrollanträge) incl. technischer Großvorhaben zu 20,9% (Vorjahr 20,9%), Beschwerden zu 9,3% (Vorjahr 10,0%) und Anträge auf Zulassung der Berufung zu 14,6% (Vorjahr 14,0%). Von den neu eingegangenen Berufungen waren 30,4% bereits von den Verwaltungsgerichten zugelassen worden (Vorjahr 21,8%).
Asylverfahren
Wie schon in den Vorjahren ist auch 2020 eine starke Zunahme der Asylverfahren am VGH zu verzeichnen. Die Eingänge stiegen auf 2.048 Verfahren an (+52,5%, 2019: 1.343; 2018: 868; 2017: 705; 2016: 195). Da 1.624 Verfahren (Vorjahr 1.176) erledigt wurden, stieg die Zahl unerledigter Verfahren am Jahresende auf 831 an (Vorjahr 407, +104,2%).
Die durchschnittliche Dauer der durch Urteil erledigten Berufungsverfahren in Asylsachen stieg mit 15,9 Monaten gegenüber 2019 (8,9 Monate) ebenfalls an. Nur ein knappes Drittel der Berufungen (28,6%) wurde noch binnen eines Jahres erledigt (Vorjahr 56,4%). Auch bei den Anträgen auf Zulassung der Berufung in Asylsachen stieg die Verfahrensdauer deutlich auf 3,9 Monate an (Vorjahr 1,6 Monate).
Die Erfolgsquoten (Stattgabe oder Teilstattgabe) in Asylverfahren betrugen bei den Anträgen auf Zulassung der Berufung 3,1% (Vorjahr 8,6%) und bei den Berufungen 20,6% (Vorjahr 58,9%).
Durchschnittliche Richterzahl
Die Durchschnittszahl der im Geschäftsjahr 2020 beim VGH in 16 Senaten beschäftigten Richterinnen und Richter lag - in Arbeitskraftanteilen - mit 31,32 leicht über dem Niveau des Vorjahres (29,58).
3. Geschäftsentwicklung bei den Verwaltungsgerichten
Allgemeine Verwaltungsrechtssachen
Bei den vier Verwaltungsgerichten im Land nahm der Eingang allgemeiner Verfahren mit insgesamt 9.847 um 6,1% ab (Vorjahr 10.479). Die Zahl der Erledigungen blieb mit 10.262 um 7,6% gegenüber dem Vorjahr (11.104) zurück. Der Gesamtbestand der offenen Verfahren am Jahresende sank gegenüber dem Vorjahr um 5,0% auf 7.823 (Vorjahr 8.238).
An den Verwaltungsgerichten hat sich die Verfahrensdauer in allgemeinen Verfahren unterschiedlich entwickelt. Die durchschnittliche Dauer der erledigten allgemeinen Verfahren ist bei den Hauptsachen auf 12,2 Monate (Vorjahr 11,7) gestiegen, in Eilverfahren hingegen auf 2,8 Monate (Vorjahr 3,0 Monate) gesunken. 55,7% der Hauptsachen wurden binnen 12 Monaten erledigt.
Asylverfahren
Die Eingänge in Asylverfahren bei den Verwaltungsgerichten sind mit 10.744 gegenüber dem Vorjahr (2019: 17.694; 2018: 27.585; 2017: 48.080) deutlich zurückgegangen (-39,3%). Die Zahl der Erledigungen in Asylverfahren nahm leicht auf 24.917 zu (Vorjahr 24.039). Der Gesamtbestand an offenen Asylverfahren am Jahresende konnte mit 18.612 deutlich reduziert werden (Vorjahr 32.785; -43,2%). Die durchschnittliche Dauer der Asylverfahren in Hauptsacheverfahren nahm von 18,3 Monaten im Vorjahr auf nun 24,6 Monate deutlich zu, die Verfahrensdauer in Eilverfahren blieb mit 4,0 Monaten dagegen konstant (Vorjahr 3,9 Monate).
Zahl der Richterinnen und Richter
Die Durchschnittszahl der im Geschäftsjahr 2020 bei den vier Verwaltungsgerichten des Landes beschäftigten Richterinnen und Richter wuchs weiter auf 242,53 (in Arbeitskraftanteilen) und lag damit deutlich höher als im Vorjahr (2019: 212,38; 2018: 161,67; 2017: 139,93).
4. Verfahren von öffentlichem Interesse, in denen voraussichtlich im Jahr 2021 eine Entscheidung des VGH ansteht
1. Senat
Stuttgart 21: Rechtmäßigkeit einer Gebühr für Wegtragen von Demonstranten
Der Kläger wendet sich gegen eine vom Polizeipräsidium Stuttgart erhobene Gebühr in Höhe von 80,-- EUR für die Vollstreckung eines Platzverweises. In der Nacht vom 12. auf den 13. Januar 2012 fand vor dem damaligen Südflügel des Hauptbahnhofs in Stuttgart (Straße „Am Schlossgarten“) eine Versammlung statt. Deren Teilnehmer protestierten gegen das Projekt „Stuttgart 21“ und den seinerzeit geplanten Abriss eines Teils des Bahnhofsgebäudes. Der Kläger nahm an dieser Versammlung teil. Er wurde am 13. Januar 2012 um 6:15 Uhr von zwei Polizeibeamten weggetragen. Das Polizeipräsidium macht geltend, alle dort anwesenden Personen seien mehrmals über die Lautsprecher aufgefordert worden, die Örtlichkeit zu verlassen. Dieser Aufforderung sei der Kläger nicht nachgekommen. Ihm sei deshalb ein Platzverweis für den 13. Januar bis 24:00 Uhr ausgesprochen worden. Nach erfolgloser Androhung von unmittelbarem Zwang sei der Kläger, der keinen Widerstand geleistet habe, von zwei Beamten weggetragen worden.
Der Kläger hält den Gebührenbescheid für rechtswidrig. Es habe ein von Verfassungs wegen garantiertes Versammlungsrecht bestanden. Falsch sei auch die Behauptung, ihm sei im Rahmen der Absperrung der Platzverweis erteilt worden und dies sei der Grund seiner „Festnahme“ gewesen. Der ihm erteilte Platzverweis sei nur bis 06:30 Uhr gültig gewesen.
Mit Urteil vom 30. Januar 2018 hat das Verwaltungsgericht die Klage gegen den Gebührenbescheid abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.
In dem Verfahren (1 S 512/19) ist Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Montag, den 03. Mai 2021, 11.00 Uhr.
2. Senat
Kressbronn: Kurtaxe für Liegeplatzbesucher im Hafen zulässig?
Gegenstand dieser Normenkontrolle ist die Gültigkeit der Satzung über die Erhebung einer Kurtaxe der Gemeinde Kressbronn am Bodensee vom 13. März 2019. Auf der Grundlage dieser Satzung soll die Kurtaxe auch für die Anmietung und Nutzung eines Liegeplatzes in der Hafenanlage gefordert werden. Nach § 7 Abs. 1 der Satzung ist jemand, der eine Hafenanlage mit Liegeplätzen betreibt, verpflichtet, bei ihm verweilende ortsfremde Personen anzumelden und nach Abreise abzumelden.
Die Antragstellerin, die u. a. eine Hafenanlage betreibt, macht insbesondere geltend, die Gemeinde Kressbronn sei nicht normsetzungsbefugt, soweit sie von Hafenanliegern die Abgabe fordere. Es fehle insoweit an der Abgabenhoheit der Gemeinde, da die Hafenanlage zum Bodensee gehöre und sich daher außerhalb des Gemeindegebiets befinde. Im Übrigen verstoße die Satzung gegen das Gleichheitsgebot. Da sich die Liegeplatzbesucher auf der Seefläche im Hafen außerhalb des Gemeindegebiets aufhielten, kämen sie nur besuchsweise auf das Gemeindegebiet, hielten sich dort aber nicht auf. Die Wassersportler stünden mithin Tagesbesuchern mit einem Fahrrad, Pkw, Bus oder Schiff gleich, von denen die Gemeinde mangels Anknüpfungspunkt in der Satzung auch keine Kurtaxe erhebe.
In dem Verfahren (2 S 2801/19) ist Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Dienstag, den 13. Juli 2021, 10.00 Uhr.
Verpackungssteuersatzung der Stadt Tübingen
Die Verpackungssteuersatzung der Stadt Tübingen vom 30. Januar 2020, die am 1. Januar 2022 in Kraft tritt, normiert eine Steuer auf nicht wiederverwendbare(s) Verpackungen, Geschirr und Besteck, sofern Speisen und Getränke darin bzw. damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als mitnehmbares Take-Away-Gericht oder -Getränk verkauft werden. Steuerschuldner ist der Endverkäufer. Dieser ist von der Steuer nur befreit, wenn er entweder die Steuergegenstände vollständig am Abgabeort zurücknimmt oder einer stofflichen Verwertung außerhalb der öffentlichen Abfallentsorgung zuführt, oder er die Gegenstände lediglich für eine begrenzte Dauer auf Märkten, Festen oder sonstigen zeitlich befristeten Veranstaltungen verkauft.
Die Steuersätze betragen für:
1. jede Einwegdose, -flasche, -becher und sonstige Einweggetränkeverpackung 0,50 Euro
2. jedes Einweggeschirrteil und jede sonstige Einweglebensmittelverpackung 0,50 Euro
3. jedes Einwegbesteck (-set) 0,20 Euro
Pro „Einzelmahlzeit“ wird der Steuersatz auf 1,50 Euro begrenzt.
Die Antragstellerin ist Inhaber eines McDonald‘s-Schnellrestaurants, das im Stadtgebiet von Tübingen liegt. Sie ist der Auffassung, die Verpackungssteuersatzung verstoße gegen Bundesrecht, namentlich gegen Verfassungsrecht. Trotz einer gewissen Fortschreibung des Abfallbundesrechts verstoße die Satzung, wie schon ihr Kasseler Pendant, das das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 7. Mai 1998 (- 2 BvR 1991/95 u.a. - BVerfGE 98, 106 - Kasseler Verpackungssteuer) als verfassungswidrig eingestuft habe, gegen den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Darüber hinaus verletze die Satzung auch die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG sowie den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Die Stadt Tübingen sieht keinen Widerspruch ihrer Regelungen zum Abfallrecht des Bundes und ist insbesondere der Auffassung, dass sich die Rechtslage in der Zwischenzeit geändert habe und die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im zitierten Urteil vom 7. Mai 1998 auf die heutige Rechtslage nicht mehr übertragbar seien.
Mit einer Terminierung der Sache kann frühestens Ende dieses Jahres oder zu Beginn des Jahres 2022 gerechnet werden (2 S 3814/20).
3. Senat
Freiburg: Normenkontrolle über die Gültigkeit der Entwicklungssatzung Dietenbach
Die Beteiligten streiten um die Gültigkeit der Satzung über die Festlegung des Entwicklungsbereichs Dietenbach. Die Antragsteller sind Eigentümer landwirtschaftlich genutzter Grundstücke, die im Geltungsbereich des Entwicklungsbereichs liegen. Das ca. 130 ha große Entwicklungsgebiet liegt im Außenbereich ca. 4 km westlich des Stadtzentrums zwischen den Ortsteilen Lehen und Rieselfeld und wird vom Dietenbach durchflossen. Der Entwicklungsbereich wird derzeit überwiegend landwirtschaftlich genutzt, umfasst aber auch Waldflächen und liegt im Überschwemmungsgebiet des Dietenbaches; er wird u.a. von Naturschutzgebieten und FFH-Gebieten begrenzt.
Die Antragsgegnerin (Stadt Freiburg) plant die Entwicklung des Gebiets zu einem neuen Stadtteil für ca. 6.000 Wohneinheiten zur Deckung des Wohnraumbedarfs in ihrem Stadtgebiet. Die Frage der Bebauung des Entwicklungsbereichs war kommunalpolitisch umstritten und Gegenstand eines Bürgerentscheids.
Der 3. Senat beabsichtigt die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im 3. Quartal (3 S 2103/19).
4. Senat
Syrien: Flüchtlingsschutz bei Wehrdienstflucht
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 19. November 2020 entschieden, dass bei Wehrdienstflucht eine „starke Vermutung“ für die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz spreche. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den meisten Wehrdienstflüchtigen aus Syrien bislang jedoch (nur) internationalen Subsidiärschutz wegen Bürgerkriegs gewährt. Viele Kläger fordern jetzt – gestützt auf das neue EuGH-Urteil – zusätzlich die Flüchtlingsanerkennung, denn hiermit wird grundsätzlich unbeschränkter Familiennachzug möglich sowie der Schutz vor eventuellem Widerruf, z.B. nach Ende des Krieges, verstärkt.
Über zwei Fälle solcher „Aufstocker“ wird der 4. Senat verhandeln. In der Verhandlung soll geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen bei der aktuellen Lage in Syrien gegebenenfalls die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Die Fälle sind Musterverfahren für viele Hunderte von vergleichbaren Verfahren, die derzeit bei den Verwaltungsgerichten anhängig sind.
In dem Verfahren (A 4 S 468/21 und A 4 S 469/21) ist Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Dienstag, den 04. Mai 2021, 10.45 Uhr.
5. Senat
Stuttgart 21 - Umgestaltung der Wolframstraße
Im Zuge der Baumaßnahmen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 soll im Bereich der Wolframstraße in Stuttgart ein Tunnelbauwerk für den künftigen Verlauf der S-Bahn errichtet werden. Die Wolframstraße muss dieses Bauwerk mittels Umfahrungsschleifen, die über Rampen geführt werden, überwinden. Entsprechende Planungen wurden mit einem Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamts vom 26. Juli 2017 bereits beschlossen.
Dabei handelt es sich jedoch aus Sicht der Stadt Stuttgart, die am 30. August 2017 Klage auf Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses erhoben hat, nur um eine provisorische Lösung. Nach Fertigstellung des Gesamtprojekts Stuttgart 21 müsse der bisherige gradlinige und vierspurige Verlauf der Wolframstraße wiederhergestellt werden. Die beigeladene DB Netz AG als Trägerin des Vorhabens Stuttgart 21 sei verpflichtet, auch diese Planungen auf ihre Kosten zu übernehmen und vom Eisenbahn-Bundesamt feststellen zu lassen. Es handele sich um eine notwendige Folgemaßnahme des Bahnprojekts. Zudem sei die DB Netz AG verpflichtet, die mit der Unterhaltung des provisorischen Bauwerks verbundenen Kosten zu tragen.
Das beklagte Eisenbahn-Bundesamt und die beigeladene DB Netz AG sind hingegen der Ansicht, die weitere Planung auch im Bereich der Wolframstraße erfordere eine umfassende Verkehrskonzeption für die Zeit nach der Inbetriebnahme des Gesamtprojekts Stuttgart 21. Diese obliege der Stadt Stuttgart als Trägerin der Planungshoheit. Als Trägerin der Straßenbaulast müsse diese auch die Kosten für das provisorische Bauwerk tragen.
Ein Termin zur mündlichen Verhandlung ist für das dritte Quartal 2021 vorgesehen (5 S 2016/17).
Hockenheim: Verbesserung des Schallschutzes
Die Stadt Hockenheim (Klägerin) begehrt die Verbesserung des Schallschutzes entlang von auf ihrer Gemarkung verlaufenden Eisenbahnstrecken, der in Nord-Süd-Richtung nebeneinander liegenden Eisenbahnstrecken Mannheim - Rastatt und Mannheim - Stuttgart. Für letztere wurde mit Planfeststellungsbeschluss der Deutschen Bundesbahn vom 24. November 1981 der Plan festgestellt und sie wurde 1986/1987 in Betrieb genommen.
Die Klägerin ist der Auffassung, der Planfeststellungsbeschluss vom 24. November 1981 enthalte eine Garantie, dass durch den Bahnbetrieb entlang der Wohngebiete auf ihrer Gemarkung ein bestimmter Schalldruckpegel nicht überschritten werden dürfe. Diese Garantie werde nicht eingehalten. Auf Antrag der beigeladenen DB Netz AG stellte das Eisenbahn-Bundesamt am 27. Juli 2018 den Plan für weitere Schallschutzmaßnahmen fest.
Die Klägerin hält diese Maßnahmen für unzureichend, um die Garantie aus dem Planfeststellungsbeschluss vom 24. November 1981 zu erfüllen, und begehrt mit ihrer Klage die Verpflichtung der beklagten Bundesrepublik Deutschland, über zusätzliche Schallschutzmaßnahmen zu entscheiden.
In dem Verfahren (5 S 2545/18) ist Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Donnerstag, den 20. Mai 2021, 14.00 Uhr.
6. Senat
Ostalbkreis: Verstärkung des Hochspannungsnetzes
Die Kläger wenden sich gegen den auf Antrag der Netze BW GmbH erlassenen Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 22. Januar 2020 für die Netzverstärkung Ostalbkreis auf den 110-kV-Leitungen Goldshöfe-Ellwangen (LA 0412), Ellwangen-Nördlingen (LA 0401), Hohenberg-Goldshöfe (LA 0321) und Ellwangen-Hohenberg (LA 0408). Der Planfeststellungsbeschluss dient der Verstärkung des Hochspannungsnetzes im Ostalbkreis zur Gewährleistung der Netzstabilität.
Die acht Kläger sind Eigentümer von mit Wohngebäuden bebauten Grundstücken im Bereich der bereits bestehenden 110-kV-Leitung in Ellwangen-Neunheim, auf deren Masten ein zweiter 110-kV-Stromkreis zubeseilt werden soll durch Auflegung dreier Leiterseile auf die freien Traversenplätze der Bestandsleitung. Sie machen im Wesentlichen geltend, aufgrund der erheblichen Belastung durch die bereits bestehende Leitung und die zu erwartende höhere Belastung durch die 2. Leitung sei eine Erdverkabelung in ihrem Bereich die zu bevorzugende Art der Trassenführung. Die diesbezügliche im Planfeststellungsbeschluss enthaltene Abwägung zu ihren Lasten sei im Ergebnis nicht haltbar. Der Planfeststellungsbeschluss stehe überdies nicht im Einklang mit immissionsschutzrechtlichen Vorschriften. Ihr Interesse an jeglicher Verschonung vor elektromagnetischen Feldern sei nicht hinreichend berücksichtigt worden.
Das Regierungspräsidium Stuttgart tritt den Klagen für das beklagte Land entgegen. Die Abwägung der zu berücksichtigenden Belange sei fehlerfrei erfolgt. Die für die klägerischen Grundstücke prognostizierten Werte der niederfrequenten elektrischen und magnetischen Felder lägen weit unter den gesetzlich definierten Grenzwerten. Die Netze BW GmbH wurde zum Verfahren beigeladen. Auch sie hält die Klagen für nicht begründet.
Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet über die Klagen gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 4 VwGO in erster Instanz. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung soll in diesem Jahr bestimmt werden (6 S 833/20).
Kaiserstuhl: Zulässigkeit des Abbaus von Phonolit
Die Beteiligten streiten über die bergrechtliche Zulassung eines Rahmenbetriebsplans für den Abbau von Phonolit. Die Klägerin betreibt seit 1964 auf der Gemarkung der Gemeinde Bötzingen im Gewann „Fohberg“ (im Kaiserstuhl) einen Steinbruch mit Mineralstoffwerk, in dem Phonolit abgebaut wird - ein vulkanisches Gestein, das vielfältige Verwendung findet. Bereits seit Mitte der 1990er Jahre plant sie, den Phonolitabbau auch im ca. 1 km entfernten Gewann „Endhahlen“ zu erschließen. Zu Beginn der 2000er Jahre ließ das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau einen Probebetrieb zu. Hiergegen gerichtete Klagen u.a. der Gemeinde Bötzingen blieben erfolglos.
Die Klägerin beantragte 2015 die Durchführung eines bergrechtlichen Planfeststellungsverfahrens für die Zulassung eines Rahmenbetriebsplans für den Abbau von Phonolit im Gewann „Endhahlen“. Dieser bezieht sich auf eine im Vogelschutzgebiet „Kaiserstuhl“ liegende Gesamtfläche von ca. 8,96 ha und eine Rohstoffabbaufläche von ca. 3,56 ha und ist auf eine Gesamtlaufzeit von 28 Jahren ausgelegt. Das Landesamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14. Juni 2019 ab. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt stehe fest, dass der Klägerin zentral im Abbaugebiet gelegene Grundstücke nicht zur Verfügung stünden. Die bereits zu diesem Zeitpunkt erforderliche Grundabtretungsprognose nach dem Bundesberggesetz falle zu Lasten der Klägerin aus. Das Abbauvorhaben weise keinen so bedeutsamen Gemeinwohlbezug auf, dass es die Enteignung von rund 15 Grundstückseigentümern rechtfertige.
Der hiergegen erhobenen Klage der Klägerin gab das Verwaltungsgericht Freiburg mit Urteil vom 5. November 2020 statt (10 K 2788/19). Es verpflichtete das beklagte Land, über den Antrag der Klägerin auf Zulassung des Rahmenbetriebsplans zum Vorhaben „Endhahlen“ unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, im Verfahren zur Zulassung eines Rahmenbetriebsplans sei zwar eine Prognose darüber anzustellen, ob später erforderlich werdende Grundabtretungen bzw. Enteignungen gerechtfertigt sein würden. Grundsätzlich sei eine solche Prognose aber erst anzustellen, nachdem dieses Verfahren abgeschlossen sei, da die Behörde erst zu diesem Zeitpunkt in die Lage versetzt sei, die im Rahmen der Grundabtretungsprognose erforderliche Gesamtabwägung aller für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange durchzuführen. Daran fehle es hier. Das Landesamt habe die Prognose auch nicht ausnahmsweise vorziehen dürfen. Denn es liege nicht auf der Hand, dass das Interesse am Abbau von Phonolith offensichtlich hinter den Interessen von Grundstückseigentümern zurücktrete.
Das beklagte Land hat gegen das Urteil die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung eingelegt und begründet. Die Erwiderungsfrist läuft aktuell noch. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung steht demnach noch nicht fest, wird jedoch für die zweite Jahreshälfte oder zu Beginn des Jahres 2022 angestrebt (6 S 4216/20).
9. Senat
Reicht dezentrales Lernen aus für die Genehmigung einer Privatschule?
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, dessen Zweck in der Förderung des dezentralen Lernens besteht. Im Jahr 2014 beantragte er die Genehmigung einer privaten Grundschule sowie einer privaten Haupt- und Werkrealschule als Ersatzschulen, in denen dezentrales Lernen nach dem sogenannten Uracher Plan praktiziert wird. Danach soll der Unterricht überwiegend zuhause stattfinden. Er soll ergänzt werden durch eine einmal wöchentlich stattfindende schulische Pflicht-Präsenzveranstaltung, durch Hausbesuche der Lernbegleiter mit am jeweiligen pädagogischen Bedarf orientierter Häufigkeit, einem virtuellen Klassenzimmer über eine Plattform mit voraussichtlich zwei Veranstaltungen pro Woche, nach Bedarf visuellen Kontakten über das Internet sowie dadurch, dass ein Lernbegleiter am Vormittag zu festgelegten Zeiten zum Telefonkontakt zur Verfügung steht.
Die Genehmigungsanträge des Klägers wurden vom Regierungspräsidium nicht beschieden. Am 17. März 2017 hat der Kläger jeweils Klage erhoben. Mit Urteilen vom 29. Januar 2019 hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Klagen abgewiesen und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. In den - im wesentlichen gleichlautenden - Begründungen führt das Verwaltungsgericht aus, die beantragte „Schule“ sei keine Ersatzschule, für die eine Genehmigung zu erteilen wäre. Die streitgegenständliche „Schule“ weiche aufgrund ihrer äußeren Strukturmerkmale von den im öffentlichen Schulwesen Baden-Württembergs verbreiteten Typen derart gravierend ab, dass es aus dem Blickwinkel der staatlichen Schulhoheit von vornherein nicht vertretbar wäre, ihren „Besuch“ dem Besuch einer öffentlichen Schule gleichzustellen und als Erfüllung der Schulpflicht zu werten. Auch ein Rückgriff auf pädagogisch-konzeptionelle Gegebenheiten verhelfe hier nicht zum Vorliegen einer Ersatzschule. Die Unterrichtung der eigenen Kinder durch die Eltern im familiären Umkreis könne danach niemals Schule sein, und zwar auch dann nicht, wenn die Kinder zahlreich und die Eltern selbst ausgebildete Lehrer seien. Es fehle an der organisatorischen Verselbständigung und Verstetigung und an der gemeinsamen Unterrichtung eines im Laufe der Zeit wechselnden Schülerbestandes. Aus demselben Grund genüge auch die Unterrichtung durch einen Hauslehrer nicht. Schule trete schon begrifflich der Familie gegenüber. Nach dem vorliegenden „Schul“-Konzept entfiele diese Integrationsfunktion der Schule nahezu gänzlich. In einer (echten) Schule begegneten sich unterschiedliche Teile der Gesellschaft.
Ursprünglich war beabsichtigt, im zweiten Quartal 2020 über die Berufungen mündlich zu verhandeln. Der Kläger kündigte jedoch im April 2020 die Vorlage eines rechtswissenschaftlichen Gutachtens zum Schulbegriff an. Im Juli 2020 legte er sodann ein verfassungsrechtliches und im September 2020 ein erziehungswissenschaftliches Gutachten zum Schulbegriff, die jeweils von Professoren gefertigt wurden, vor.
In den Verfahren (9 S 567/19, 9 S 568/19) ist Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Donnerstag, den 15. Juli 2021, 14.00 Uhr.
DocMorris: Dürfen Arzneimittel über ein Videoterminal ausgegeben werden?
Die Klägerin, eine niederländische Versandapotheke, bot seit dem 19. April 2017 in der Gemeinde Hüffenhardt eine „pharmazeutische Videoberatung mit angegliederter Arzneimittelabgabe“ an. Dazu wurde der Kunde in den Räumen einer ehemaligen Apotheke in Hüffenhardt über ein Videoterminal mit einem in den Niederlanden befindlichen Apotheker bzw. Pharmazeutisch-Technischen-Assistenten verbunden. Dieser entschied dann unter anderem nach Kontrolle des eingescannten ärztlichen Rezepts über die Ausgabe des von dem Kunden gewünschten Medikaments durch den mit einem Medikamentenlager verbundenen Arzneimittelautomaten.
Mit Bescheid vom 21. April 2017 untersagte das Regierungspräsidium Karlsruhe der Klägerin die weitere Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel sowie mit sofortiger Wirkung die weitere Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel mittels des Automaten. Die Klägerin verstoße gegen das Arzneimittelgesetz, da sie apothekenpflichtige Arzneimittel außerhalb einer Apotheke und nicht im Rahmen ihres Versandhandels in den Verkehr bringe.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 26. April 2017 vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben. In der Begründung ihrer Klage vertrat die Klägerin insbesondere den Standpunkt, bei der Abgabe der Medikamente mittels Vi-deochat handele es sich um eine Art des Versandhandels. Ihr Handeln sei deswegen von ihrer niederländischen Versandhandelserlaubnis gedeckt. Außerdem verstoße das behördliche Verbot gegen Europarecht. Das Verwaltungsgericht ist dieser Argumentation nicht gefolgt und hat die Klage mit Urteil vom 4. April 2019 abgewiesen. Die von der Klägerin angebotene Videoberatung mit anschließender Arzneimittelausgabe verstoße insbesondere gegen die in § 43 des Arzneimittelgesetzes (AMG) normierte Apothekenpflicht. Denn die Klägerin bringe die Arzneimittel weder in einer Apotheke noch im Wege des Versands in den Verkehr. So betreibe die Klägerin, die keine deutsche Apothekenerlaubnis besitze, schon nach ihrem eigenen Vortrag in Hüffenhardt keine Apotheke. Das Inverkehrbringen der Arzneimittel mittels des Arzneimittelautomaten sei aber auch kein Fall des Versandhandels. Angesichts des in § 43 AMG normierten deutschen Apothekenmonopols liege ein Versandhandel jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn - wie im vorliegenden Fall - nach außen der Eindruck des Betriebs einer Präsenzapotheke erweckt werde. Die Untersagung der von der Klägerin angebotenen Arzneimittelabgabe verstoße auch nicht gegen das Recht der Klägerin auf Warenverkehrsfreiheit. Der mit dem Apothekenmonopol verbundene Eingriff in den in der Europäischen Union geltenden Grundsatz des freien Warenverkehrs sei gerechtfertigt. Auch nach Europarecht dürfe Personen, die über keine Apothekenbetriebserlaubnis verfügen, der Besitz und der Betrieb einer Apotheke inklusive der Abgabe von Arzneimitteln zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen verwehrt werden.
Über die Berufung der Klägerin soll in der zweiten Jahreshälfte verhandelt werden (9 S 527/20).
10. Senat
Sanierung „Kessler-Grube“ - Klage des BUND
Der 10. Senat hat in der bodenschutzrechtlichen Sanierungssache Kessler-Grube die Anträge der Gemeinden Grenzach-Wyhlen, Muttenz (CH) und Riehen (CH) auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 23. März 2021 abgelehnt (siehe hierzu vom Pressemitteilung 25. März 2021). Noch anhängig ist die Berufung des BUND in gleicher Sache.
Gegenstand des Verfahrens ist die Verbindlichkeitserklärung der Altlastensanierung für den „Perimeter 2“ der Kessler-Grube mittels Einkapselung. Hiergegen hat sich neben den o. g. Gemeinden auch der BUND gewandt und die vorgesehene Art der Sanierung als unzureichend gerügt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, die sie als unzulässig und im Übrigen als unbegründet angesehen hat. Die Voraussetzungen für eine Klagebefugnis des BUND als anerkannter Umweltvereinigung nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) seien nicht erfüllt, da die bodenschutzrechtliche Verbindlichkeitserklärung weder die Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) auslöse noch sie eine Zulassungsentscheidung im Sinne des UmwRG darstelle. Darüber hinaus begegne die als Sanierungsmaßnahme festgelegte Einkapselung auch in der Sache keinen rechtlichen Bedenken.
Das Verwaltungsgericht hat die Berufung des BUND gegen sein Urteil vom 7. August 2019 zugelassen. Es hat die Fragen als grundsätzlich bedeutsam angesehen, ob die Verbindlichkeitserklärung eines bodenschutzrechtlichen Sanierungsplans (§ 13 Abs. 6 BBodSchG) einen Verwaltungsakt darstellt, durch den ein Vorhaben im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 5 UmwRG zugelassen wird. Sofern diese Frage zu bejahen und die Klage deswegen entgegen seiner Auffassung zulässig sei, stelle sich für ihre Begründetheit die weitere Frage von grundsätzlicher Bedeutung, wann von einer im Rechtssinne dauerhaften (vgl. § 4 Abs. 3 BBodSchG) Gefahrenbeseitigung ausgegangen werden könne.
In diesem Berufungsverfahren (10 S 141/20) hat der 10. Senat Termin bestimmt auf Mittwoch, den 14. Juli 2021, 11:00 Uhr.
Windpark Burgberg
Der Verein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern e.V., ein Umweltverband, hat Klage erhoben gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von vier Windkraftanlagen („Windpark Burgberg“ - zwischen Ilshofen und Crailsheim), für die seit einer Gesetzesänderung vom Dezember 2020 der VGH erstinstanzlich zuständig ist. Der Umweltverband rügt Verstöße gegen das Bauplanungsrecht, den Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), das Entgegenstehen naturschutzrechtlicher Belange (insbes. die Beeinträchtigung eines Dichtezentrums von Rotmilanen) sowie Beeinträchtigungen der Landschaft und des Erholungsraums sowie von waldrechtlichen Belangen (10 S 4265/20). In gleicher Sache ist beim Senat auch eine Berufung (10 S 1156/21) anhängig, über die gemeinsam mit dem Klageverfahren mündlich verhandelt werden soll.
Eine Verhandlung soll im Lauf des Jahres stattfinden.
12. Senat
Freiburg: Normenkontrolle gegen Hausordnung der LEA
Mehrere Bewohner der vom Regierungspräsidium Freiburg seit Mai 2018 auf dem Gelände der ehemaligen Polizeiakademie in Freiburg i.Br. in der Lörracher Straße betriebenen Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) haben am 16. Dezember 2020 einen Normenkontrollantrag gestellt (12 S 4089/20). Die aus dem Senegal und Ghana stammenden Antragsteller wenden sich gegen einzelne Regelungen einer vom Leiter der Einrichtung am 16. Dezember 2019 erlassenen Hausordnung, die das Zusammenleben in der LEA regeln soll.
Die Hausordnung, die eine frühere Hausordnung ersetzt, ist am 1. Januar 2020 in Kraft getreten und basiert auf einer Musterhausordnung für das Land Baden-Württemberg. Sie enthält unter anderem Regelungen über die Durchführung von Zimmerkontrollen, die Verschließbarkeit der Zimmer, das Zutrittsrecht zur Einrichtung, verbotene Gegenstände, die Ausübung politischer, missionarischer und ähnlicher Tätigkeiten. Die Antragsteller rügen eine unzureichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage und machen geltend, dass die Regelungen sie in ihren Grundrechten verletzen, insbesondere in dem Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG), dem Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), in der Religions- (Art. 4 GG) und Meinungsfreiheit (Art. 5 GG). Außerdem seien sie unverhältnismäßig. Das Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Regierungspräsidium Freiburg, hält den Antrag schon für nicht statthaft und daher unzulässig. Unabhängig davon vertritt es die Auffassung, dass die kraft behördlicher Entscheidung zugewiesenen Zimmer in der LEA nicht vom Schutzbereich des Art. 13 GG erfasst seien, und beruft sich auf sein Hausrecht.
Am 16. März 2021 wurde zudem eine einstweilige Anordnung beantragt, mit der die vorläufige Außervollzugsetzung der mit dem Normenkontrollantrag angegriffenen Regelungen begehrt wird. Ein Entscheidungszeitpunkt steht noch nicht fest. Auch das Eilverfahren (12 S 921/21) ist derzeit noch nicht entscheidungsreif, da noch Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten ausstehen.