Der knapp vierzigjährige Kläger reiste 2002 mit einem Visum zum Zwecke eines Deutschkurses und anschließenden Studiums in das Bundesgebiet ein. Er schloss sein Medizinstudium in Deutschland erfolgreich ab, ist mittlerweile Facharzt und an einer Klinik als Oberarzt tätig. Vor etwa zehn Jahren heiratete er standesamtlich eine in Deutschland geborene deutsche Staatsangehörige muslimischen Glaubens, deren Eltern aus Syrien stammen. Der Kläger hält sich seit seiner Einreise bis heute ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Im Jahr 2012 beantragte der Kläger seine Einbürgerung, unterschrieb dabei die Bekenntnis- und Loyalitätserklärung sowie das Merkblatt zur Verfassungstreue und Absage an alle Formen des Extremismus und bestand den Einbürgerungstest mit der maximal möglichen Punktzahl. Bei der geplanten Aushändigung der Einbürgerungsurkunde weigerte der Kläger sich 2015, der zuständigen Sachbearbeiterin des Landratsamts zur Begrüßung die Hand zu geben; denn er habe seiner Ehefrau versprochen, keiner anderen Frau die Hand zu geben. Zur Aushändigung der Einbürgerungsurkunde kam es nicht. Gegen die daraufhin vom Landratsamt 2016 abgelehnte Einbürgerung hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben, das diese mit Urteil vom 7. Januar 2019 abwies. Die Berufung des Klägers hiergegen zum VGH blieb erfolglos.
Der 12. Senat des VGH führt im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 20. August 2020 zur Begründung seines Urteils aus: Eine Einbürgerung setze nach § 10 Staatsangehörigkeitsgesetz u.a. voraus, dass der Bewerber seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleiste. Die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse setze - jenseits der stets vorauszusetzenden Bereitschaft zur Beachtung von Gesetz und Recht - auch eine tätige Einordnung in die elementaren Grundsätze des gesellschaftlich-kulturellen Gemeinschaftslebens voraus. In Deutschland - wie auch in anderen westlichen Staaten - seien Handschlag und Händeschütteln gängige nonverbale Begrüßungs- und Verabschiedungsrituale, die unabhängig von sozialem Status, Geschlecht oder anderen personellen Merkmalen der beteiligten Personen erfolgten und auf eine jahrhundertelange Praxis zurückgingen. Aufgrund der langen geschichtlichen Tradition des Handschlags erachte der Senat es für ausgeschlossen, dass die derzeitige Corona-Pandemie, die mit einer Vermeidung des Handschlags einhergehe, auf Dauer zu einem Ende des Händeschüttelns führe. Auch in der Vergangenheit habe der Handschlag die Zeiten überdauert, die von weltweiten Infektionen geprägt gewesen seien.
Allerdings seien als Ausdruck einer pluralistischen Gesellschaft in Deutschland daneben andere Praktiken zur Begrüßung oder Verabschiedung anzutreffen, etwa Küsse oder eine Art Abklatschen („High Five“). Bei besonderen privaten, öffentlichen oder gar hoheitlichen Anlässen, die durch Förmlichkeiten geprägt würden, sei es aber gerade der Handschlag, der in diesem Kontext regelmäßig praktiziert werde. Der Handschlag habe ferner eine rechtliche Bedeutung. Er symbolisiere einen Vertragsabschluss. Zudem gebe es gesetzliche Regelungen, die vorsähen, dass Personen durch Handschlag auf eine ordnungsgemäße Erfüllung ihrer Aufgaben verpflichtet würden, beispielsweise bei der Übertragung eines öffentlichen Amts oder der Bestellung eines Vormunds durch das Familiengericht. Der Handschlag habe daher im gesellschaftlich-kulturellen und rechtlichen Leben eine das Miteinander prägende, tiefgehende Verwurzelung. Für diese sei typisch, dass der Handschlag unabhängig davon erfolge, welche Geschlechter sich gegenüberstünden. Verweigere der Einbürgerungsbewerber das Händeschütteln aus geschlechtsspezifischen - und damit mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG nicht in Einklang zu bringenden - Gründen, sei keine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gegeben. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Verweigerung des zwischengeschlechtlichen Handschlags - wie hier - dazu diene, dem Geltungsanspruch einer salafistischen Überzeugung zum Verhältnis von Mann und Frau zu einer gesellschaftlichen Wirkung zu verhelfen.
Soweit der Kläger vortrage, er habe sich, weil er den Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau voll mittrage, mittlerweile dazu entschlossen, niemandem mehr die Hand zu reichen, führe dies zu keiner anderen Würdigung. Die jedenfalls seit Anfang des Jahres 2018 bestehende Praxis des Klägers, niemandem mehr die Hand zu geben, erachte der Senat als ein unter dem Eindruck der Ablehnung der Einbürgerung entwickeltes taktisches Vorgehen.
Der VGH hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Sie kann vom Kläger binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils eingelegt werden (Az. 12 S 629/19).