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Bad Herrenalb: Erstmalige Festsetzung eines Abwasserbeitrages nach mehr als zwei Jahrzehnten unzulässig
Datum: 08.08.2018
Kurzbeschreibung:
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hatte in einem jüngst den Beteiligten bekannt gegebenen Urteil vom 12. Juli 2018 darüber zu entscheiden, ob eine Gemeinde einen Grundstückseigentümer noch nach Ablauf von mehr als 20 Jahren erstmals zu den Kosten des Anschlusses seines Grundstücks an eine öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage heranziehen kann.
Der Kläger ist Eigentümer zweier Grundstücke im Innenbereich der beklagten Gemeinde, welche ursprünglich nicht an das öffentliche Abwasserentsorgungsnetz der Gemeinde angeschlossen waren, sondern jedenfalls seit 1960 über eine abflusslose Abwassergrube verfügten. Mit dem Inkrafttreten der Abwassersatzung der Gemeinde vom 25.07.1984 durften abflusslose Abwassergruben im Gemeindegebiet nicht mehr betrieben werden, weil seitdem im Prinzip ein Anschluss an eine öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage möglich ist. Auch das Grundstück des Klägers ist jedenfalls seit der Jahreswende 1989/1990 an den öffentlichen Abwasserkanal angeschlossen. Ein Abwasserbeitragsbescheid, mit dem die beklagte Gemeinde ihren Aufwand für die Herstellung der Abwasserbeseitigungsanlage gegenüber dem Kläger gemäß ihrer Abwassersatzung vom 25.07.1984 hätte abrechnen können, erging jedoch nicht. Denn seit 1991 war der Gemeinde bekannt, dass ihre - formell bis zum 30.09.2012 weitergeltende - Abwassersatzung vom 25.07.1984 wegen Kalkulationsfehlen aus inhaltlichen Gründen unwirksam ist und auf ihrer Basis keine Beitragspflicht entstehen kann. Erst am 25.07.2012 beschloss die Gemeinde eine neue, seit dem 01.10.2012 geltende Abwassersatzung. Auf der Grundlage dieser Satzung erließ die Beklagte erstmals am 15.08.2013 gegenüber dem Kläger einen Abwasserbeitragsbescheid für den Anschluss seiner Grundstücke an die öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage i.H.v. 7.395,90 EUR. Die Gemeinde machte u.a. geltend, trotz der späten Beitragsfestsetzung sei die Beitragspflicht kommunalabgabenrechtlich noch nicht verjährt, weil die Beitragspflicht (erst) mit der aktuell zum 01.10.2012 in Kraft getretenen Abwassersatzung entstanden sei und die vierjährige Festsetzungsfrist noch laufe. Der Kläger trug gegenüber der Beklagten sowie im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht u.a. vor, seine Heranziehung nach so langer Zeit für einen lange zurückliegenden Anschlussvorteil verstoße gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit und sei darüber hinaus treuwidrig.
Das Verwaltungsgericht wies die Anfechtungsklage des Klägers ab und hielt die Beitragserhebung für die rund 24 Jahre zurückliegende Anschlussmöglichkeit an die öffentliche Abwasserbeseitigung für nicht treuwidrig.
Mit seinem Urteil vom 12.07.2018 hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs die Entscheidung des Verwaltungsgerichts geändert und den gegenüber dem Kläger ergangenen Abwasserbeitragsbescheid aufgehoben. Der 2. Senat hat zunächst die Rechtsauffassung der Beklagten und des Verwaltungsgerichts bestätigt, dass die späte Festsetzung des Abwasserbeitrags noch nicht verjährt sei, weil die Verjährungsfrist (§ 3 Abs. 1 Nr. 4c KAG i.V.m. § 169, § 170 AO) an das Beststehen einer wirksamen Satzung anknüpfe und eine solche Satzung erst seit dem 01.10.2012 in Kraft gesetzt worden sei. Die späte Heranziehung des Klägers zu einem Abwasserbeitrag verstoße aber gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit. Denn dieser vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 – entwickelte Grundsatz verlange, dass ein Beitrag, mit dem ein vom Bürger in Anspruch genommener Anschlussvorteil abgerechnet werde, nicht zeitlich unbegrenzt nach der Erlangung dieses Vorteils festgesetzt werden dürfe. Das Bundesverfassungsgericht habe hierfür ausdrücklich den Gesetzgeber in die Pflicht genommen, der eine gesetzliche Höchstgrenze für die Heranziehung zu einem Beitrag bestimmen müsse. Das baden-württembergische Kommunalabgabengesetz (KAG) sehe eine solche Höchstgrenze derzeit aber nicht vor. Insoweit unterliege das KAG daher verfassungsrechtlichen Bedenken, weshalb der Gesetzgeber zum Handeln aufgefordert sei. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Senats kämen im Falle des Klägers aber nicht entscheidungserheblich zum Tragen, denn dessen Heranziehung zu einem Abwasserbeitrag verstoße unabhängig von der verfassungsrechtlichen Problematik aufgrund der vorliegenden Umstände des Einzelfalls auch gegen den im Verwaltungsrecht allgemein geltenden Grundsatz von Treu und Glauben. Danach könne die Ausübung eines Rechtes unzulässig sein, wenn dem Berechtigten eine Verletzung eigener Pflichten zur Last falle und die Ausübung seines Rechtes aufgrund dieser Pflichtverletzung treuwidrig erscheine. Der Senat hat diese Voraussetzungen hier als erfüllt angesehen, weil die Beklagte es seit 1991 pflichtwidrig unterlassen habe, die als nichtig erkannte Abwassersatzung 1984 durch eine gültige Abwassersatzung zu ersetzen. Aber auch schon zuvor sei die Beitragserhebung – auf der Grundlage der Abwassersatzung 1984 – in einer Vielzahl von Fällen nicht nach den gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien erfolgt. Schließlich könne nach den lückenhaft dokumentierten Unterlagen der Beklagten auch nicht sicher ausgeschlossen werden, dass für die Grundstücke des Klägers nicht schon einmal Abwasserbeiträge bezahlt worden seien.
Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassung der Revision kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des jeweiligen Urteils durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden (Az. 2 S 143/18).