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Erhöhtes Unfallruhegehalt und Unfallentschädigung für Lehrerin nach Amoklauf von Winnenden: Keine Berufung gegen stattgebendes Urteil des Verwaltungsgerichts
Datum: 15.03.2016
Kurzbeschreibung: Der Antrag des Landes Baden-Württemberg (Beklagter), die Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart (VG) zuzulassen, mit dem das Land zur Zahlung von erhöhtem Unfallruhegehalt und einer Unfallentschädigung an eine vom Amoklauf in Winnenden betroffene Lehrerin verurteilt wurde, hat keinen Erfolg. Das hat der 4. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) mit einem den Beteiligten bekannt gegebenen Beschluss vom 23. Februar 2016 entschieden. Damit ist das stattgebende Urteil des VG rechtskräftig.
Die Klägerin war Lehrerin an der Albertville-Realschule in Winnenden. Am Tag des Amoklaufs vom 11. März 2009 unterrichtete sie in dem Schulgebäude. Sie wurde von dem Täter, dem sie nicht begegnete, nicht körperlich verletzt, erlitt aber infolge des Geschehens eine psychische Erkrankung, die der Beklagte als Dienstunfall anerkannte und die zu ihrer Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit führte. Der Beklagte gewährte ihr ein Unfallruhegehalt, verweigerte aber die Zahlung eines erhöhten Unfallruhegehalts (nach § 37 Beamtenversorgungsgesetz) und eine Unfallentschädigung (nach § 59 Landesbeamtenversorgungsgesetz) mit der Begründung, die Klägerin habe den Dienstunfall nicht, wie von diesen Vorschriften vorausgesetzt, „in Ausübung des Dienstes durch einen rechtswidrigen Angriff“ erlitten. Sie sei zu keiner Zeit der objektiven Gefahr der Körperverletzung oder Tötung ausgesetzt gewesen, weil der Täter an ihrem Klassenzimmer vorbeigegangen sei und die Morde in einem anderen Stockwerk begangen habe. Zudem habe es sich um einen generalisierten Angriff gehandelt, der nicht gezielt auf die Klägerin gerichtet gewesen sei. Das VG gab der dagegen gerichteten Klage statt. Der Beklagte beantragte, die Berufung gegen das Urteil zuzulassen. Der VGH lehnte dies ab.
Aus den vom Beklagten dargelegten Gründen bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Die Feststellung des VG, die Klägerin sei am Tattag objektiv gefährdet, insbesondere in der Reichweite des Täters gewesen, sei nicht zu beanstanden. Dass sich der Täter, wie der Beklagte hervorhebe, zeitweise in einem anderen Stockwerk und insoweit nicht in unmittelbarer körperlicher Nähe zur Klägerin befunden habe, stehe dem nicht entgegen. Denn für die Annahme einer „Erreichbarkeit“ des Opfers sei es in rechtlicher Hinsicht weder erforderlich, dass der vom Täter beabsichtigte Angriff zum Erfolg geführt habe noch dass beide auch nur in einem körperlichen Kontakt gestanden hätten. Maßgeblich sei vielmehr im vorliegenden Fall, dass der Täter sich einer Schusswaffe mit großer Reichweite bedient habe, mit deren Umgang gut vertraut gewesen sei, über eine Patronenzahl im dreistelligen Bereich verfügt habe, u.a. innerhalb des Schulgebäudes in hohem Maße mobil gewesen sei und am Tattag mit größtmöglichem Nachdruck die auch mehrfach umgesetzte Absicht verfolgt habe, Schüler/innen und Lehrer/innen zu töten. Die Klägerin habe sich in dieser Situation jedenfalls solange in der Reichweite des Täters befunden, solange dieser sich auf dem Schulgelände befunden habe und in der Lage gewesen sei, sich dort zu bewegen und Schüsse abzugeben. Unabhängig davon sei der Einwand des Beklagten auch deshalb nicht dazu geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung hervorzurufen, weil der Beklagte nur eine mögliche Verletzung der körperlichen Unversehrtheit der Klägerin durch Schussverletzungen in den Blick nehme. Die erforderliche objektive Gefahr, dass der Beamte durch die zielgerichtete Verletzungshandlung des Angreifers einen Körperschaden erleide, liege nicht nur dann vor, wenn die Gefahr einer Beeinträchtigung der körperlichen Integrität bestehe, sondern auch dann, wenn der Beamte in die Gefahr gerate, eine psychische Krankheit zu erleiden, wie es hier geschehen sei. Die Berufung sei auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Dass sich ein „Angriff“ im Sinne der genannten Vorschriften auch gegen eine Gruppe von dem Täter zuvor nicht bekannten Beamten richten könne, sei geklärt.
Der Beschluss des VGH ist unanfechtbar (4 S 1251/15).