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Psychologische Lehr- und Beratungsstelle Böblingen: VGH bestätigt Äußerungsrecht kirchlicher Weltanschauungsbeauftragter; Eil-Beschlüsse des VG Stuttgart geändert
Datum: 20.03.2015
Kurzbeschreibung: Die Leiterin einer psychologischen Lehr- und Beratungsstelle (Antragstellerin zu 1) und eine Grundschulrektorin, die sich dort seit vielen Jahren beraten ließ und engen Kontakt zu ihr unterhielt (Antragstellerin zu 2), können nicht verlangen, dass die Evangelische Kirche in Württemberg (Antragsgegnerin) einstweilig die Äußerung unterlässt, die Leiterin der Beratungsstelle betreibe „eine Psychogruppe spezieller Prägung mit ihr als Meisterin“. Das hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) mit zwei in dieser Woche zugestellten Beschlüssen vom 10. März 2015 entschieden und anders lautende Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Stuttgart (VG) geändert.
Die streitige Äußerung entstammt einer "Kurzinformation" der Weltanschauungsbeauftragten der Antragsgegnerin. Anlässlich von Problemen zwischen Eltern und der Leitung einer Grundschule wandten sich Lehrkräfte und Eltern an die Weltanschauungsbeauftragten. Diese überließen dem Vertreter der Lehrkräfte und Eltern eine "Kurzinformation“ mit der Erlaubnis, sie der Elternvertretung zu übermitteln. Das Papier wurde auch an die Schulleitung und an Medien weitergegeben. Darin hieß es u.a., die Rektorin der Grundschule gehöre dem Kreis um eine pensionierte Gymnasiallehrerin an, die seit Jahrzehnten eine Psychogruppe spezieller Prägung betreibe, mit der die Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen der Ev. Kirche in Württemberg immer wieder in Konfliktfällen zu tun gehabt habe. Die Leiterin der Beratungsstelle sei als Studentin und junge Lehrerin Mitglied der sogenannten Zürcher Schule (ZS) des Friedrich Liebling, eine hoch ideologisierte Psychogruppe in Zürich, gewesen. Die ZS habe eine libertinär-linksprogressive hoch religions- und gesellschaftskritische Ideologie vertreten, mit familienfeindlichen Zügen und der Idee, dass ein Kind nicht von den eigenen Eltern erzogen werden sollte. Die meisten ZS-Anhängerinnen und Anhänger verzichteten bewusst auf Kinder, viele ließen sich sterilisieren. Wie die Praxis in der Gruppe um die Antragstellerin zu 1 sei, sei nicht genau bekannt, aber es gebe Hinweise in diese Richtung. Mit Anträgen auf Erlass einstweiliger Anordnungen begehrten die Antragstellerinnen, der Antragsgegnerin zu untersagen, diese Äußerungen bis zum rechtskräftigen Abschluss eines von den Antragstellerinnen noch einzuleitenden Hauptsacheverfahrens zu wiederholen. Das VG gab den Eilanträgen überwiegend statt. Auf die Beschwerden der Antragsgegnerin hat der VGH diese Entscheidungen geändert und die Eilanträge insgesamt abgelehnt.
Die Äußerungen seien vom Grundrecht auf religiöse Meinungsfreiheit der Antragsgegnerin gedeckt und griffen nicht unverhältnismäßig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragstellerinnen ein. Es gebe bei einer Gesamtschau hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte, die die Bezeichnung "Psychogruppe spezieller Prägung“ seitens der nicht zu weltanschaulicher Neutralität verpflichteten Antragsgegnerin rechtfertigten. Die Antragstellerin zu 1 habe nach eigenen Angaben auf ihrer Homepage „eine Ausbildung in Psychagogik an der Psychologischen Lehr- und Beratungsstelle in Zürich unter Leitung von Friedrich Liebling“ absolviert. Dabei handele es sich nicht um eine anerkannte psychologische Ausbildung. Ihre Tätigkeit bewege sich also außerhalb der fachlichen Psychologie. Sie habe auch nicht bestritten, dass sie keinen Austausch mit der Fachwelt pflege und - anders als andere psychologische Beratungsstellen - nicht mit einschlägigen Hilfseinrichtungen in der Region zusammenarbeite. In ihrer Eigendarstellung hebe sie die Ausbildung bei Friedrich Liebling hervor, für die sie „heute noch dankbar“ sei. Sie führe dann weiter aus, dass sie sich in den letzten Jahrzehnten durch Beschäftigung mit verschiedenen namentlich benannten Autoren fortgebildet habe. Zu dem von ihr verfolgten Beratungsansatz heißt es, dieser könne am besten „mit dem gesprächsorientierten Konzept der Individualpsychologie verglichen werden“. Nach welchen Methoden die Antragstellerin zu 1 letztlich arbeite, werde aus dieser Umschreibung indes nicht klar. Hinweise auf eine Gruppenbildung unter Leitung der Antragstellerin zu 1 ergäben sich auch aus der in einem Zeitungsartikel zitierten Aussage eines ihrer Anhänger und der eidesstattlichen Versicherung einer Mitarbeiterin der Aktion Bildungsinformation e.V. Weitere Anknüpfungstatsachen enthalte der 9. Bericht der „Interministeriellen Arbeitsgruppe für Fragen sogenannter Sekten und Psychogruppen“ (Landtagsdrucksache 15/3467), wo unter der Überschrift „Bürgeranfragen“ ohne Namensnennung über die Tätigkeit der Antragstellerin zu 1 berichtet werde. Es heiße dort u.a.: „Die ehemalige Lehrerin, die im Mittelpunkt eines ganzen Netzes von Pädagogen und pädagogisch interessierten Laien stand, orientierte sich in ihrer Therapie und Beratungsarbeit an den Utopien eines von der Wissenschaft zu erzeugenden „Neuen Menschen“, wie dies der 1982 verstorbene Gründer der Züricher Psychologischen Lehr- und Beratungsstelle, Friedrich Liebling, vertreten hatte.“ Die Bezeichnung der Antragstellerin zu 1 als „Meisterin“ bzw. „Psycho-Lehrmeisterin“ umschreibe ihre Tätigkeit als Leiterin und verknüpfe dies mit einer negativen Bewertung, die von der religiösen Meinungsfreiheit der Antragsgegnerin gedeckt und von der Antragstellerin zu 1 hinzunehmen sei, weil sie die Grenze zur Schmähung nicht überschreite.
Die weitere Äußerung: „Wie die Praxis in der X-Gruppe war, ist nicht genau bekannt, aber es gibt Hinweise darauf, dass sie wie die Zürcher Schule (ZS) eine libertinär-linksprogressive, hoch religions- und gesellschaftskritische Ideologie vertritt, mit familienfeindlichen Zügen und der Idee, dass ein Kind nicht von den eigenen Eltern erzogen werden sollte.“, sei ebenfalls zulässig. Sie enthalte zum einen Werturteile über die ZS, die sich auf ausreichende Tatsachen stützen könnten. Zum anderen verknüpfe sie die Bewertung der ZS mit der Tätigkeit der Antragstellerin zu 1 in der Weise, dass es Hinweise auf eine gleichartige weltanschauliche Ausrichtung gebe. Der Empfänger werde dies so verstehen, dass es tatsächliche Anhaltspunkte für eine entsprechende weltanschauliche Ausrichtung der Beratungspraxis der Antragstellerin zu 1 gebe. Derartige tatsächliche Anhaltspunkte habe die Antragsgegnerin angeführt. Dass die Antragstellerin zu 1 stark von der ZS-Schule beeinflusst sei, ergebe sich auch aus der Darstellung auf ihrer Homepage.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar (Az.: 1 S 2443/14 und 1 S 2444/14).