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Dublin-Verfahren: Überstellung nach Bulgarien bei nicht ernsthaft erkrankten Männern und Paaren ohne kleine Kinder zulässig
Datum: 01.12.2014
Kurzbeschreibung: Nicht ernsthaft erkrankte Männer oder Paare ohne kleine Kinder, die in Bulgarien einen Asylantrag gestellt haben und anschließend als Asylbewerber nach Deutschland eingereist sind, dürfen im Dublin-Verfahren zur Durchführung des Asylverfahrens nach Bulgarien überstellt werden. Denn jedenfalls diesem Personenkreis droht in Bulgarien keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung aufgrund systemischer Mängel oder Schwachstellen des bulgarischen Asylsystems oder der dortigen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber. Das hat der 11. Senat des Verwaltungsgerichthofs Baden-Württemberg (VGH) mit zwei Ende November 2014 zugestellten Urteilen vom 10. November 2014 entschieden und gegenteilige Urteile des Verwaltungsgerichts Stuttgart (VG) geändert.
Die Kläger sind ihren Angaben zufolge Kurden aus Syrien. Sie reisten über die Türkei nach Bulgarien und stellten dort Asylanträge. Danach reisten sie nach Deutschland und stellten erneut Asylanträge. Auf Ersuchen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Beklagte) erklärten die bulgarische Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge und stimmten der Rücküberstellung der Kläger nach Bulgarien zu (Dublin-Verfahren). Daraufhin ordnete die Beklagte die Abschiebung der Kläger nach Bulgarien an. Mit ihren Klagen rügten die Kläger, Bulgarien halte europarechtliche Mindeststandards zur Durchführung eines Asylverfahrens nicht ein und Asylbewerber würden in Bulgarien menschenrechtswidrig behandelt. Das VG gab den Klagen mit der Begründung statt, das Aufnahme- und Asylsystem in Bulgarien leide an systemischen Mängeln. Auf die Berufungen der Beklagten änderte der VGH die Urteile und wies die Klagen ab.
Die Beklagte sei zu Recht davon ausgegangen, dass Bulgarien der nach dem Dublin-Zuständigkeitssystem zuständige Staat zur Durchführung des Asylverfahrens und daher verpflichtet sei, die Kläger wieder aufzunehmen. Die Kläger könnten nicht beanspruchen, dass die Bundesrepublik Deutschland die Zuständigkeit übernehme. Jeder EU-Mitgliedstaat könne grundsätzlich darauf vertrauen, dass alle am Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der in EU-Grundrechtecharta und Europäischer Menschenrechtskonvention gewährleisteten Menschenrechte und Grundfreiheiten beachteten. Es bestehe eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem EU-Mitgliedstaat den Anforderungen der Genfer Flüchtlingskonvention und der Menschenrechtskonvention genüge. Zwar könnten erhebliche Funktionsstörungen im System der Rechtsanwendungspraxis eines bestimmten EU-Mitgliedstaats die erstzunehmende Gefahr begründen, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen EU-Mitgliedstaat in einer mit ihren Menschenrechten unvereinbaren Weise behandelt würden. Das Dublin-Zuständigkeitssystem werde aber nicht schon durch vereinzelte Verstöße gegen Bestimmungen der Dublin-Verordnung und auch nicht durch jede Verletzung eines Grundrechts oder des Verbots unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung grundsätzlich in Frage gestellt. Es sei nur dann - teilweise - zu suspendieren, wenn einem EU-Mitgliedstaat aufgrund ihm vorliegender Informationen bekannt sei, dass Asylbewerbern in einem anderen EU-Mitgliedstaat wegen systemischer Mängel oder Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung konkret drohe. Das sei nach den dem VGH vorliegenden Erkenntnisquellen in Bulgarien jedenfalls bei nicht ernsthaft erkrankten Alleinstehenden oder Ehepaaren ohne kleine Kinder und damit auch bei den Klägern nicht der Fall. Diese Erkenntnisquellen belegten, dass jedenfalls insoweit in Bulgarien ein ausreichend differenziertes Verfahren zur Aufnahme von Flüchtlingen und zur Durchführung eines effektiven Prüfungs- und Anerkennungsverfahrens installiert sei. Dieses genüge, von einzelnen Unzulänglichkeiten abgesehen, den (unions-)rechtlichen Anforderungen noch und ermögliche eine ordnungsgemäße Behandlung der Flüchtlinge. Die Situation ernsthaft erkrankter Asylbewerber, von Paaren mit kleinen Kindern und asylsuchender unbegleiteter Minderjähriger in Bulgarien bedürfe bei gegebenem Anlass allerdings weiterer Prüfung und gesonderter Betrachtung.
Der VGH hat eine Revision gegen seine Urteile nicht zugelassen. Diese Entscheidung kann binnen eines Monats nach Zustellung der Urteile durch Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden (Az.: A 11 S 1636/14 und A 11 S 1778/14).