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Keine polizeiliche Observation eines entlassenen Gewalt- und Sexualstraftäters ohne aktuelles Gutachten zur Rückfallgefahr
Datum: 07.02.2013
Kurzbeschreibung: Die Landespolizeidirektion Freiburg (Antragsgegner) darf einen aus der Sicherungsverwahrung entlassenen Straftäter (Antragsteller) vorläufig nicht weiter observieren. Es fehlt eine den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts genügende Gefahrenprognose auf der Grundlage eines aktuellen psychiatrischen Gutachtens. Auch verschiedene vom Antragsgegner ermittelte Umstände nach der Entlassung des Antragstellers rechtfertigen dessen weitere Observation nicht. Das hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) mit einem heute bekannt gegebenen Beschluss vom 31. Januar 2013 entschieden und dem Antragsgegner durch eine einstweilige Anordnung vorläufig untersagt, den Antragsteller zu observieren.
Die polizeiliche Observation eines ehemals sicherungsverwahrten entlassenen Straftäters erfordere eine konkrete Gefahr für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person bzw. zur Vorbeugung der Bekämpfung von Verbrechen. Eine solche vom Antragsteller ausgehende Gefahr sei mangels eines aktuellen psychiatrischen Gutachtens zur Rückfallgefahr derzeit nicht mit der Sicherheit festzustellen, die eine Ablehnung seines Eilantrags rechtfertigen könnte. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem - einen ähnlichen Fall betreffenden - Kammerbeschluss vom 8. November 2012 (1 BvR 22/12) entschieden, einem entlassenen Straftäter dürfe der Eilrechtsschutz gegen eine polizeiliche Observation nicht auf der Grundlage eines mehr als zwei Jahre zurückliegenden psychiatrischen Gutachtens aus der Zeit der Sicherungsverwahrung versagt werden. An diesen Maßstab sei der Senat gebunden. Gemessen daran könne dem Antragsteller der begehrte Eilrechtsschutz nicht versagt werden.
Das letzte psychiatrische Gutachten vom 14.10.2011 aus der Zeit der Sicherungsverwahrung verneine eine Rückfallgefahr. Auf das eine solche Gefahr noch bejahende Gutachten vom 23.09.2010 könne die Observation nicht mehr gestützt werden, weil es aus der Zeit der Sicherungsverwahrung stamme und älter als zwei Jahre sei. Eine Risikobewertung nach dem Sicherheitsprogramm KURS sei schon deshalb kein hinreichendes kriminalprognostisches psychiatrisches Gutachten, weil sie ohne Exploration des Antragstellers erstellt werde. Schließlich ergäben sich auch aus dem Verhalten des Antragstellers nach seiner Entlassung keine Tatsachen für eine hinreichende Gefahr. Die vom Antragsgegner angeführten persönlichen Kontakte des Antragstellers zu einer unter Alias-Namen auftretenden Person, die in der Vergangenheit wegen Sexualdelikten in Erscheinung getreten sei, seien insoweit unergiebig. Gleiches gelte für ein einmaliges kurzes Gespräch des Antragstellers mit einem zehnjährigen Jungen über dessen Hund. Auch die vom Antragsgegner dargelegten aufbrausend aggressiven bis depressiven Unmutsäußerungen des Antragstellers gegenüber den ihn observierenden Polizeibeamten seien keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine die Observation rechtfertigende Gefahr. Stimmungsschwankungen dieser Art könnten Folgen der dauernden Observation sein. Bei dieser Sachlage komme die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Rückfallgefahr im vorliegenden Eilverfahren nicht in Betracht.
Der Senat bemerkt abschließend, es spreche einiges dafür, dass die Anordnung einer psychiatrischen Begutachtung ehemals Sicherungsverwahrter durch die Polizei auf der Grundlage des Polizeigesetzes Baden-Württemberg gegebenenfalls nach einer Übergangszeit voraussichtlich einer speziellen Ermächtigungsgrundlage bedürfte.
Der Beschluss ist unanfechtbar (1 S 1817/12).