"Kopftuchstreit": Entscheidungsgründe liegen jetzt vor

Datum: 14.05.2008

Kurzbeschreibung: Der 4. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) hat mit Urteil vom 14.03.2008 entschieden, dass eine Lehrerin gegen eine durch das Schulgesetz auferlegte Dienstpflicht verstößt, wenn sie in der Schule erkennbar aus religiösen Gründen eine Kopfbedeckung trägt. Die Weisung der Schulverwaltung, den Dienst in der Schule ohne eine derartige Kopfbedeckung zu versehen, hat der VGH deshalb als rechtmäßig angesehen (Pressemitteilung Nr. 8 vom 18.03.2008). Die Entscheidungsgründe des Urteils liegen nunmehr vor.

Die Klägerin, Lehrerin an einer Grund- und Hauptschule, trat 1984 zum Islam über. Seit 1995 trägt sie während des Dienstes eine religiös motivierte Kopfbedeckung. Im Dezember 2004 wies das Oberschulamt Stuttgart die Klägerin an, ihren Dienst in der Schule ohne Kopfbedeckung zu versehen. Diese Weisung wurde vom Verwaltungsgericht Stuttgart aufgehoben, weil sie mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbaren sei. Auf die Berufung des Landes wies der VGH die Klage ab.

Die das gesamte Haupthaar verhüllende Kopfbedeckung der Klägerin sei aus der maßgeblichen Sicht der Schüler und Eltern eine religiöse äußere Bekundung im Sinne von § 38 Abs. 2 Satz 1 SchulG. Denn die Klägerin gebe damit in eindeutiger Weise zu verstehen, dass sie sich zum Islam bekenne, auch wenn das Kopftuch nicht dem typischen Aussehen eines „islamischen Kopftuchs“ entspreche. Von der Bekundung, die mit der Kopfbedeckung zum Ausdruck komme, gehe eine abstrakte Gefährdung der religiösen Neutralität der Schule und des religiösen Schulfriedens aus. Denn die Schule sei der Ort, an dem unterschiedliche religiöse Auffassungen unausweichlich aufeinander träfen. Die Entwicklung hin zu einer größeren religiösen Vielfalt in der Gesellschaft habe ein vermehrtes Potenzial religiöser Konflikte in der Schule mit sich gebracht. Insbesondere sei der Besorgnis der Eltern wegen einer möglichen religiösen Beeinflussung der Kinder Rechnung zu tragen. Auf die konkreten Verhältnisse an der Schule der Klägerin, die sich auch ändern könnten, komme es nicht an. Auch sei es unerheblich, dass die Klägerin als Lebenszeitbeamtin seit 30 Jahren unbeanstandet im Schuldienst tätig sei. Ein Ausnahme sehe das Gesetz nur für Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst vor, was wegen des Ausbildungsmonopol des Staates geboten sei.

Diese Regelung sei mit höherrangigem Recht, insbesondere dem Grundgesetz, vereinbar. Der Gesetzgeber habe das Spannungsverhältnis zwischen der Religionsfreiheit der Lehrkräfte einerseits, dem staatlichen Erziehungsauftrag, dem elterlichen Erziehungsrecht und der negativen Glaubensfreiheit in der Schule andererseits im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit in zulässiger Weise zu Lasten der Lehrkräfte aufgelöst.

Die gesetzliche Regelung verstoße auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Insbesondere ergebe sich eine unzulässige Bevorzugung christlicher Glaubensbekundungen nicht aus der Klarstellung in § 38 Abs. 2 Satz 3 SchulG, wonach die Wahrung des Erziehungsauftrags nach der Landesverfassung und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1 widerspricht. Das Gesetz spreche nicht von der Bekundung eines individuellen Bekenntnisses. Der hier verwendete Begriff des „Christlichen“ bezeichne vielmehr eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus der Tradition der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangene Wertewelt, die erkennbar auch dem Grundgesetz zugrunde liege und unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beanspruche. Anders als teilweise im Gesetzgebungsverfahren vertreten, sei Lehrkräften an öffentlichen Schulen bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift das Tragen religiös motivierter Kleidung jeglichen Bekenntnisses, und somit auch von Ordensgewändern christlicher Gemeinschaften oder etwa der jüdischen Kippa, nicht (mehr) erlaubt.

Auf einen Gleichheitsverstoß im Vollzug der Regelung könne sich die Klägerin ebenfalls nicht berufen. Es spreche viel dafür, dass es gerechtfertigt sei, gegen die drei Nonnen nicht einzuschreiten, die an einer staatlichen Grundschule in Baden-Baden im Ordenshabit allgemeinbildende Fächer unterrichteten. Denn hier liege wohl ein historisch bedingter Ausnahmefall auf einer einmaligen sondervertraglichen Grundlage vor.

Aber selbst wenn insoweit von einem gleichheitswidrigen Defizit bei der Durchsetzung der Verbotsnorm des § 38 Abs. 2 Satz 1 SchulG auszugehen wäre, hätte die Klägerin   entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts keinen Anspruch darauf, in der Schule ihre religiös motivierte Kopfbedeckung tragen zu dürfen und von der angefochtenen Weisung, dies zu unterlassen, verschont zu bleiben. Derjenige, dem die Übertretung eines Verbots vorgeworfen werde, könne sich grundsätzlich nicht darauf berufen, dass gegen andere Personen wegen des gleichen oder eines ähnlichen Sachverhalts behördlicherseits nicht vorgegangen werde. Einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht gebe es regelmäßig nicht. Anhaltspunkte für eine willkürliche Verwaltungspraxis, die eine Ausnahme rechtfertigen könnte, gebe es nicht. Auch müsse sich der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hier deswegen durchsetzen, weil auch die Belange der Schüler und Eltern betroffen seien.

Die Revision gegen sein Urteil hat der VGH nicht zugelassen. Die Nichtzulassung der Revision kann binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht angefochten werden (Az.: 4 S 516/07).


§ 38 Abs. 2 des Schulgesetzes lautet:

Lehrkräfte an öffentlichen Schulen nach § 2 Abs. 1 dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußeren Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Schülern oder Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrkraft gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung der Menschen nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Artikel 12 Abs. 1 , Artikel 15 Abs. 1 und Artikel 16 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1. Das religiöse Neutralitätsgebot des Satzes 1 gilt nicht im Religionsunterricht nach Artikel 18 Satz 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg .


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