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Erhöhtes Ruhegehalt nach lebensgefährlichem Duell mit einem Hirsch
Datum: 16.08.2011
Kurzbeschreibung: Die Suche nach einem ausgebrochenen und in ein Wohngebiet geflüchteten verletzten Hirsch kann einen Forstbeamten unter besonderen Umständen in Lebensgefahr bringen. Tritt dieser aufgrund der hierbei erlittenen Verletzungen in den Ruhestand, hat er Anspruch auf ein erhöhtes Ruhegehalt. Dies entschied der 4. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) und gab der Berufung des Forstbeamten gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg statt.
Am 15.10.1995, einem Sonntag, gab es während der Brunftzeit in einem Wildgehege einen Kampf zwischen zwei Rothirschen, in dessen Verlauf der Zaun des Geheges niedergedrückt wurde. Einer der beiden Hirsche, der beim Kampf Verletzungen davongetragen hatte, flüchtete in Richtung St. Blasien. Der von Anwohnern benachrichtigte Kläger verfolgte den Hirsch am Rand der Wohnbebauung, konnte wegen der zahlreichen Zuschauer aber keinen Fangschuss abgeben. Dann verlor er das Tier aus den Augen. Er begegnete ihm schließlich - in nur geringem Abstand - auf einem Wohngrundstück wieder oberhalb der dort in den Hang eingelassenen Garagen. Dort griff ihn der Hirsch unvermittelt an und stürzte ihn die etwa 2,20 Meter hohe Brüstung hinunter. Der Kläger erlitt schwerwiegende Verletzungen, die 2007 zu seiner Versetzung in den Ruhestand führten. Die Gewährung eines erhöhten Unfallruhegehalts im Hinblick auf die bei dem Dienstunfall bestehende Lebensgefahr lehnte das Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg ab. Zu der Gefährdung des Klägers sei es nur gekommen, hieß es, weil der Kläger sich unsachgemäß verhalten und die natürliche Fluchtdistanz des Hirsches unterschritten habe. Der Förster klagte vor dem Verwaltungsgericht Freiburg ohne Erfolg. Der VGH gab ihm auf seine Berufung hin nach Einnahme eines Augenscheins und Anhörung eines Wildsachverständigen Recht.
Der Kläger habe Anspruch auf ein erhöhtes Unfallruhegehalt, weil sich der Dienstunfall bei einer Diensthandlung - der Nachsuche nach dem Hirsch - ereignet habe, mit der für ihn eine besondere Lebensgefahr verbunden gewesen sei, entschied der VGH. Das erhöhte Unfallruhegehalt sei eingeführt worden, um den Einsatzwillen von Beamten anzuspornen, die besonders gefährliche Dienstverrichtungen zu leisten hätten und dabei erfahrungsgemäß häufiger als andere Beamte dienstunfähig würden. Dieses erhöhte Unfallruhegehalt werde nicht gewährt, wenn die gefahrerhöhenden Momente vor Eintritt des Unfallereignisses selbst noch nicht vorhanden gewesen und allein auf ein unangemessenes Verhalten des Beamten bei einer typischerweise - auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten der konkreten Situation - ungefährlichen Diensthandlung zurückzuführen seien. Der Augenschein und die Ausführungen des Sachverständigen hätten ergeben, dass dies bei der Nachsuche am 15.10.1995 nicht der Fall gewesen sei.
Die Nachsuche nach einem Hirsch sei im Normalfall zwar mit keiner besonderen, über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehenden Gefährdung verbunden. Hier hätten aber besondere Umstände vorgelegen. Der Kläger habe den Hirsch aus den Augen verloren, als dieser einen Jägerzaun zur tiefer gelegenen Wohnbebauung hin durchbrochen habe. Erst auf dem Wohngrundstück oberhalb der Garagen habe er ihn unerwartet wieder getroffen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt sei die Nachsuche nach den Ausführungen des Wildsachverständigen mit einer besonderen Lebensgefahr verbunden gewesen. Der Hirsch sei - verletzt und wegen der Brunftzeit ohnehin von erhöhter Aggressivität - aufgrund der Eingrenzung durch die Wohnbebauung und den ihm gegenüberstehenden Kläger seiner Fluchtmöglichkeiten beraubt gewesen. Diese für das Tier besondere Stresssituation habe zu der Gefährdungslage geführt. Dagegen habe das in den Einzelheiten nicht mehr aufklärbare Verhalten des Klägers unmittelbar vor dem Angriff des Hirschs - insbesondere hinsichtlich seines Bemühens, das Tier zu einer Rückkehr in den Wald hangaufwärts zu bewegen, um einen sicheren Fangschuss anbringen zu können - nach Ausführungen des Sachverständigen allein nicht dazu geführt, dass die an sich ungefährliche Diensthandlung zu einer lebensgefährlichen Situation geworden sei.
Auf ein Mitverschulden des Klägers komme es im Rahmen der Unfallfürsorge nicht an, so der VGH weiter. Ob ein grob dienstpflichtwidriges Verhalten den Anspruch auf ein erhöhtes Unfallruhegehalt ausschließe, könne offen bleiben. Denn ein solches sei dem Kläger nicht vorzuwerfen. Zwar hätte er die Nachsuche aufgeben oder unterbrechen, sich über die Treppe an der Westseite des Hauses hangaufwärts von dem Hirsch entfernen und den Polizeivollzugsdienst benachrichtigen können. Dies sei ihm jedoch zum einen aufgrund seiner Verantwortung gegenüber dem leidenden Tier, das er nicht sich selbst habe überlassen wollen, nicht zumutbar gewesen. Zum anderen habe er sich als Forst- und Jagdexperte zu Recht auch für die Abwehr der von dem Hirsch ausgehenden Gefahren für die Wohnbevölkerung verantwortlich gefühlt. Die „richtige“ Verhaltensweise sei nach Auffassung des Sachverständigen in dieser einzigartigen, absolut jagdfremden Situation, die andere Maßnahmen erfordert habe, als sie sonst in freier Natur üblich und richtig gewesen wären, nicht auszumachen gewesen.
Das Urteil vom 13.12.2010 ist rechtskräftig (Az.: 4 S 215/10).
Der Kläger habe Anspruch auf ein erhöhtes Unfallruhegehalt, weil sich der Dienstunfall bei einer Diensthandlung - der Nachsuche nach dem Hirsch - ereignet habe, mit der für ihn eine besondere Lebensgefahr verbunden gewesen sei, entschied der VGH. Das erhöhte Unfallruhegehalt sei eingeführt worden, um den Einsatzwillen von Beamten anzuspornen, die besonders gefährliche Dienstverrichtungen zu leisten hätten und dabei erfahrungsgemäß häufiger als andere Beamte dienstunfähig würden. Dieses erhöhte Unfallruhegehalt werde nicht gewährt, wenn die gefahrerhöhenden Momente vor Eintritt des Unfallereignisses selbst noch nicht vorhanden gewesen und allein auf ein unangemessenes Verhalten des Beamten bei einer typischerweise - auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten der konkreten Situation - ungefährlichen Diensthandlung zurückzuführen seien. Der Augenschein und die Ausführungen des Sachverständigen hätten ergeben, dass dies bei der Nachsuche am 15.10.1995 nicht der Fall gewesen sei.
Die Nachsuche nach einem Hirsch sei im Normalfall zwar mit keiner besonderen, über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehenden Gefährdung verbunden. Hier hätten aber besondere Umstände vorgelegen. Der Kläger habe den Hirsch aus den Augen verloren, als dieser einen Jägerzaun zur tiefer gelegenen Wohnbebauung hin durchbrochen habe. Erst auf dem Wohngrundstück oberhalb der Garagen habe er ihn unerwartet wieder getroffen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt sei die Nachsuche nach den Ausführungen des Wildsachverständigen mit einer besonderen Lebensgefahr verbunden gewesen. Der Hirsch sei - verletzt und wegen der Brunftzeit ohnehin von erhöhter Aggressivität - aufgrund der Eingrenzung durch die Wohnbebauung und den ihm gegenüberstehenden Kläger seiner Fluchtmöglichkeiten beraubt gewesen. Diese für das Tier besondere Stresssituation habe zu der Gefährdungslage geführt. Dagegen habe das in den Einzelheiten nicht mehr aufklärbare Verhalten des Klägers unmittelbar vor dem Angriff des Hirschs - insbesondere hinsichtlich seines Bemühens, das Tier zu einer Rückkehr in den Wald hangaufwärts zu bewegen, um einen sicheren Fangschuss anbringen zu können - nach Ausführungen des Sachverständigen allein nicht dazu geführt, dass die an sich ungefährliche Diensthandlung zu einer lebensgefährlichen Situation geworden sei.
Auf ein Mitverschulden des Klägers komme es im Rahmen der Unfallfürsorge nicht an, so der VGH weiter. Ob ein grob dienstpflichtwidriges Verhalten den Anspruch auf ein erhöhtes Unfallruhegehalt ausschließe, könne offen bleiben. Denn ein solches sei dem Kläger nicht vorzuwerfen. Zwar hätte er die Nachsuche aufgeben oder unterbrechen, sich über die Treppe an der Westseite des Hauses hangaufwärts von dem Hirsch entfernen und den Polizeivollzugsdienst benachrichtigen können. Dies sei ihm jedoch zum einen aufgrund seiner Verantwortung gegenüber dem leidenden Tier, das er nicht sich selbst habe überlassen wollen, nicht zumutbar gewesen. Zum anderen habe er sich als Forst- und Jagdexperte zu Recht auch für die Abwehr der von dem Hirsch ausgehenden Gefahren für die Wohnbevölkerung verantwortlich gefühlt. Die „richtige“ Verhaltensweise sei nach Auffassung des Sachverständigen in dieser einzigartigen, absolut jagdfremden Situation, die andere Maßnahmen erfordert habe, als sie sonst in freier Natur üblich und richtig gewesen wären, nicht auszumachen gewesen.
Das Urteil vom 13.12.2010 ist rechtskräftig (Az.: 4 S 215/10).