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Beschwerde erfolglos: "Gehsteigberatung" in Freiburg weiterhin vorläufig verboten
Datum: 16.06.2011
Kurzbeschreibung: Die gezielte Ansprache von Frauen auf Schwangerschaft oder Abtreibung in der Nähe einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle (sog. "Gehsteigberatung") verletzt voraussichtlich das Persönlichkeitsrecht der angesprochenen Frauen. Dies hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) mit einem heute bekanntgegebenen Beschluss entschieden und damit einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburgs (vgl. dessen Pressemitteilung vom 10.03.2011) bestätigt.
Die Stadt Freiburg hat einem privaten, gemeinnützigen Verein unter Androhung eines Zwangsgeldes von 250 Euro untersagt, in der Humboldtstraße - an der eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle liegt - Personen auf eine Schwangerschaftskonfliktsituation anzusprechen oder ihnen unaufgefordert Broschüren, Bilder oder Gegenstände zu diesem Thema zu zeigen oder zu überreichen. Der Verein (Antragsteller) hat gegen die für sofort vollziehbare Untersagungsverfügung Widerspruch eingelegt und beim Verwaltungsgericht Freiburg die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt. Die Beschwerde beim VGH blieb ebenfalls ohne Erfolg.
Die gezielte Ansprache auf eine Schwangerschaftskonfliktsituation durch unbekannte Dritte auf der Straße verletze voraussichtlich das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Frauen, heißt es in den Gründen des Beschlusses. In der Frühphase der Schwangerschaft befänden sich die meisten Frauen in einer besonderen seelischen Lage, in der es in Einzelfällen zu schweren Konfliktsituationen komme. Diesen Schwangerschaftskonflikt erlebe die Frau als höchstpersönlichen Konflikt. Sie habe daher ein Recht darauf, von fremden Personen, die sie auf der Straße darauf ansprächen, in Ruhe gelassen zu werden. Dies missachteten die für den Antragsteller tätigen Personen, wenn sie den Frauen - zumeist sogar zu zweit - mit Sätzen wie „Bitte, Mama, lass Dein Kind leben“ gegenüberträten.
Das Einschreiten der Stadt sei auch im öffentlichen Interesse geboten, da eine unbestimmte Vielzahl schwangerer Frauen von der mit der „Gehsteigberatung“ einhergehenden Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen sei, so der VGH weiter. Die angesprochenen Frauen könnten zwar Unterlassungsansprüche bei den ordentlichen Gerichten geltend machen. Eine wirkungsvolle Abwehr der Beeinträchtigungen sei so aber nicht zu erreichen. Zudem sei den Frauen in einer Schwangerschaftskonfliktsituation eine individuelle Rechtsverfolgung nicht zumutbar, weil ihnen dies einen Verzicht auf die gesetzlich gewährleistete Anonymität abverlangen würde.
Der Meinungsfreiheit des Antragstellers sei auch nicht der Vorrang vor dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der betroffenen Frauen einzuräumen. Denn auch bei einem Thema von besonderem öffentlichen Interesse wie dem eines Schwangerschaftsabbruchs schütze das Recht auf Meinungsfreiheit keine Tätigkeiten, mit denen anderen eine bestimmte Meinung aufgedrängt werden solle. Die für den Antragsteller tätigen Personen übergäben den schwangeren Frauen ein Faltblatt, das von außen den Eindruck erwecke, es handle sich ausschließlich um ein beratendes Hilfsangebot. Beim Aufschlagen würden sie aber ohne Vorwarnung mit Bildern von Föten, Teilen von Föten, von Ungeborenen oder Teilen von Ungeborenen konfrontiert, die darauf angelegt seien, ihnen eine bestimmte Meinung aufzuzwingen. Die Meinungsfreiheit des Antragstellers und seiner Mitglieder werde durch das Verbot der Gehsteigberatung ferner nicht unverhältnismäßig beschränkt. Denn außerhalb der Humboldtstraße bleibe die Gehsteigberatung möglich. Eine allgemeine Kritik an der Möglichkeit der Abtreibung könnte darüber hinaus - ohne eine gezielte Ansprache der schwangeren Frauen - auch in der Humboldtstraße geäußert werden. Die Glaubensfreiheit gewähre dem Antragsteller keine weitergehenden Rechte.
Die Untersagung der Gehsteigberatung stehe schließlich in Einklang mit der Schutzpflicht des Staates für das ungeborene menschliche Leben. Der Gesetzgeber habe im Zusammenhang mit der Reform der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs im Schwangerschaftskonfliktgesetz ein Konzept etabliert, dass in einem Schwangerschaftskonflikt in der Frühphase der Schwangerschaft den Schwerpunkt auf die Beratung der schwangeren Frau lege, um sie für das Austragen des Kindes zu gewinnen. Diese Beratung solle von dem Bemühen getragen sein, die Frau zur Fortsetzung ihrer Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen. Mit diesem komplexen Verfahren sei die Gehsteigberatung des Antragstellers nicht zu vereinbaren.
Der Beschluss ist unanfechtbar (Az.: 1 S 915/11).
Die gezielte Ansprache auf eine Schwangerschaftskonfliktsituation durch unbekannte Dritte auf der Straße verletze voraussichtlich das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Frauen, heißt es in den Gründen des Beschlusses. In der Frühphase der Schwangerschaft befänden sich die meisten Frauen in einer besonderen seelischen Lage, in der es in Einzelfällen zu schweren Konfliktsituationen komme. Diesen Schwangerschaftskonflikt erlebe die Frau als höchstpersönlichen Konflikt. Sie habe daher ein Recht darauf, von fremden Personen, die sie auf der Straße darauf ansprächen, in Ruhe gelassen zu werden. Dies missachteten die für den Antragsteller tätigen Personen, wenn sie den Frauen - zumeist sogar zu zweit - mit Sätzen wie „Bitte, Mama, lass Dein Kind leben“ gegenüberträten.
Das Einschreiten der Stadt sei auch im öffentlichen Interesse geboten, da eine unbestimmte Vielzahl schwangerer Frauen von der mit der „Gehsteigberatung“ einhergehenden Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen sei, so der VGH weiter. Die angesprochenen Frauen könnten zwar Unterlassungsansprüche bei den ordentlichen Gerichten geltend machen. Eine wirkungsvolle Abwehr der Beeinträchtigungen sei so aber nicht zu erreichen. Zudem sei den Frauen in einer Schwangerschaftskonfliktsituation eine individuelle Rechtsverfolgung nicht zumutbar, weil ihnen dies einen Verzicht auf die gesetzlich gewährleistete Anonymität abverlangen würde.
Der Meinungsfreiheit des Antragstellers sei auch nicht der Vorrang vor dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der betroffenen Frauen einzuräumen. Denn auch bei einem Thema von besonderem öffentlichen Interesse wie dem eines Schwangerschaftsabbruchs schütze das Recht auf Meinungsfreiheit keine Tätigkeiten, mit denen anderen eine bestimmte Meinung aufgedrängt werden solle. Die für den Antragsteller tätigen Personen übergäben den schwangeren Frauen ein Faltblatt, das von außen den Eindruck erwecke, es handle sich ausschließlich um ein beratendes Hilfsangebot. Beim Aufschlagen würden sie aber ohne Vorwarnung mit Bildern von Föten, Teilen von Föten, von Ungeborenen oder Teilen von Ungeborenen konfrontiert, die darauf angelegt seien, ihnen eine bestimmte Meinung aufzuzwingen. Die Meinungsfreiheit des Antragstellers und seiner Mitglieder werde durch das Verbot der Gehsteigberatung ferner nicht unverhältnismäßig beschränkt. Denn außerhalb der Humboldtstraße bleibe die Gehsteigberatung möglich. Eine allgemeine Kritik an der Möglichkeit der Abtreibung könnte darüber hinaus - ohne eine gezielte Ansprache der schwangeren Frauen - auch in der Humboldtstraße geäußert werden. Die Glaubensfreiheit gewähre dem Antragsteller keine weitergehenden Rechte.
Die Untersagung der Gehsteigberatung stehe schließlich in Einklang mit der Schutzpflicht des Staates für das ungeborene menschliche Leben. Der Gesetzgeber habe im Zusammenhang mit der Reform der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs im Schwangerschaftskonfliktgesetz ein Konzept etabliert, dass in einem Schwangerschaftskonflikt in der Frühphase der Schwangerschaft den Schwerpunkt auf die Beratung der schwangeren Frau lege, um sie für das Austragen des Kindes zu gewinnen. Diese Beratung solle von dem Bemühen getragen sein, die Frau zur Fortsetzung ihrer Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen. Mit diesem komplexen Verfahren sei die Gehsteigberatung des Antragstellers nicht zu vereinbaren.
Der Beschluss ist unanfechtbar (Az.: 1 S 915/11).