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Geschäftstätigkeit im Jahr 2011: Deutlich mehr Eingänge beim Verwaltungsgerichtshof; Großvorhaben prägen Geschäftsjahr
Datum: 20.03.2012
Kurzbeschreibung: Beim Verwaltungsgerichtshof gab es 2011 deutlich mehr Eingänge als im Vorjahr. Bei den Verwaltungsgerichten gingen die Eingangszahlen insgesamt zwar zurück, in Asylverfahren stiegen sie aber weiter an. Der Verwaltungsgerichtshof war verstärkt mit Großvorhaben befasst. Das Projekt Stuttgart 21, Block 9 des Großkraftwerks Mannheim und die Ethylen-Pipeline Süd beschäftigten drei Senate, zum Teil mehrfach. Viele andere Verfahren weckten das Interesse der Öffentlichkeit, wie etwa der Streit um die Krypta einer syrisch-orthodoxen Kirche in der Gemeinde Kirchardt. Auch im Geschäftsjahr 2012 ist mit wichtigen Entscheidungen zu rechnen, wie zur IKEA-Ansiedlung in Rastatt, zum Ausbau der Bahnstrecke Bülach-Schaffhausen, zu Sportwetten-Werbeverboten für Vereine der Fußball-Bundesliga, Äußerungen der IHK Ulm zu Stuttgart 21, Windkraftanlagen im Konflikt mit der Regionalplanung, zum Rückbau des Kernkraftwerks Obrigheim oder zur Frage, ob ein durch anonyme Samenspende gezeugtes Kind Anspruch auf soziale Unterhaltsleistungen hat.
1. Geschäftsentwicklung beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
In allgemeinen Verwaltungsrechtssachen sind 3.130 Verfahren anhängig gemacht worden. Das sind 18% mehr als im Vorjahr. Damit stiegen die Eingänge im Zehnjahresvergleich auf ein mittleres Niveau. Etwa die Hälfte aller Neueingänge betrafen Rechtsmittelverfahren im Wirtschaftsrecht, im Recht des öffentlichen Dienstes sowie im Ausländerrecht. Der Zuwachs im Jahr 2011 betrifft im Wesentlichen Rechtsmittelverfahren im Kommunal- und Staatsorganisationsrecht, Bau- und Denkmalschutzrecht, Wirtschaftsrecht, Abgabenrecht, Recht des öffentlichen Dienstes und Sozialrecht sowie erstinstanzliche Verfahren. In anderen Rechtsgebieten gab es dagegen Rückgänge. Erledigt wurden 3.029 Verfahren. Das sind 5% mehr als im Vorjahr. Am Jahresende waren mit 961 Verfahren 12% mehr als Ende 2010 anhängig. In Asylsachen sind 343 Verfahren eingegangen. Das sind erneut 36% mehr als im Vorjahr. Im Zehnjahresvergleich bewegt sich dies zwar immer noch auf niedrigem Niveau. Die Eingänge steigen seit 2009 aber kontinuierlich an. Erledigt wurden 304 Verfahren. Das sind 10% mehr als im Vorjahr. Am Jahresende waren noch 119 Asylverfahren anhängig, 49% mehr als am Ende des Vorjahres.
Die durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten der durch Urteil erledigten Berufungen in allgemeinen Verwaltungsrechtssachen konnte auf 12,8 Monate reduziert werden (Vorjahr 13,9 Monate). Auch bei den Anträgen auf Zulassung der Berufung in allgemeinen Verwaltungsrechtssachen wurde die Verfahrensdauer mit 4,9 Monaten nochmals verkürzt (Vorjahr 5,4 Monate). Gestiegen ist sie dagegen bei den - zumeist sehr aufwändigen - erstinstanzlichen Hauptsacheverfahren einschließlich technischer Großverfahren, und zwar auf 15,4 Monate (Vorjahr 14,8 Monate), sowie in Beschwerdeverfahren auf 2,7 Monate (Vorjahr 1,9 Monate). In Asylsachen ist die Verfahrensdauer der - oftmals ebenfalls aufwändigen - durch Urteil erledigten Berufungen mit 20,1 Monaten leicht angestiegen (Vorjahr 19,8 Monate), während die Verfahrensdauer der Anträge auf Zulassung der Berufung mit 2,5 Monaten deutlich verkürzt werden konnte (Vorjahr 3,4 Monate).
Die Erfolgsquoten waren unterschiedlich. Berufungen hatten in allgemeinen Verwaltungsrechtssachen zu 10,2% und in Asylsachen zu 12,5% Erfolg. Die Erfolgsquoten bei Beschwerden in allgemeinen Verwaltungsrechtssachen betrugen 18,8% und bei erstinstanzlichen Hauptsacheverfahren einschließlich technischer Großvorhaben 10,6%. Anträge auf Zulassung der Berufung waren in allgemeinen Verwaltungsstreitsachen zu 17,5% und in Asylsachen zu 9% erfolgreich. In allgemeinen Verwaltungsstreitsachen können allerdings auch die Verwaltungsgerichte Berufungen zulassen. Das war bei 73% aller neu eingegangenen Berufungen der Fall. Diese deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr (25%) beruht vor allem auf Sportwetten-Verfahren. Allein hier haben die Verwaltungsgerichte 482 Berufungen zugelassen.
In den 15 Senaten des Verwaltungsgerichtshofs waren durchschnittlich knapp 35 Richterinnen und Richter und damit geringfügig mehr als im Vorjahr (34) beschäftigt.
2. Geschäftsentwicklung bei den Verwaltungsgerichten
Bei den vier Verwaltungsgerichten im Land sind 11.842 neue Verfahren in allgemeinen Verwaltungsrechtssachen anhängig gemacht worden. Das sind 8% weniger als im Vorjahr. Damit erreichte die Zahl der Neueingänge im Zehnjahresvergleich einen Tiefpunkt. Fast die Hälfte aller Eingänge betrifft das Polizei- und Ordnungsrecht, das Ausländerrecht und das Recht des öffentlichen Dienstes sowie Numerus-Clausus-Verfahren. Der Rückgang im Jahr 2011 betrifft schwerpunktmäßig das Polizei- und Ordnungsrecht, daneben aber auch das Abgabenrecht, das Recht des öffentlichen Dienstes, das Ausländerrecht sowie das Disziplinarrecht. Deutlich mehr Neueingänge gab es dagegen im Wirtschaftsrecht, im Umweltrecht und bei Numerus-Clausus-Verfahren. Erledigt wurden 13.042 Verfahren, 5% mehr als im Vorjahr. Der Bestand allgemeiner Verwaltungsrechtssachen ist deutlich zurückgegangen. Am Jahresende waren nur noch 7.018 Verfahren und damit 15% weniger anhängig als Ende des Vorjahres. Eine gegenteilige Entwicklung gab es bei den Asylverfahren. Hier sind 3.213 neue Verfahren eingegangen, 11% mehr als im Vorjahr, in dem bereits ein Anstieg zu verzeichnen war. Hauptherkunftsländer waren Irak (10,7%), Afghanistan (9,1%) und Türkei (8,8%), gefolgt von Serbien, Kosovo und Pakistan. Im Zehnjahresvergleich bewegen sich diese Zahlen auch bei den Verwaltungsgerichten zwar auf niedrigem Niveau, seit 2009 aber ebenfalls nach oben. Die Erledigungsquote ist mit 2.963 erledigten Asylverfahren gegenüber dem Vorjahr um 31% deutlich angestiegen. Gleichwohl gab es am Jahresende mit 2.324 anhängigen Asylverfahren 12% mehr als am Ende des Vorjahres.
Die durchschnittliche Dauer der Verfahren in allgemeinen Verwaltungsrechtssachen betrug bei Hauptsachen 8,2 Monate (Vorjahr 7,9 Monate) und bei Eilsachen 2,4 Monate (Vorjahr 2,5 Monate). Asylverfahren dauerten in Hauptsachen durchschnittlich 8,9 Monate (Vorjahr 9,2 Monate) und in Eilsachen 1,9 Monate (Vorjahr 1,3 Monate).
Der Stellenabbau bei den Verwaltungsgerichten ist auch 2011 fortgeschritten. Es waren durchschnittlich nur noch 108 Richterinnen und Richter (Vorjahr 110) tätig.
3. Rückblick auf wichtige Entscheidungen im vergangenen Jahr
Zahlreiche Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof interessierten Öffentlichkeit und Medien. Die in 56 Pressemitteilungen bekannt gegebenen Entscheidungen des Gerichtshofs verdeutlichen das breite und vielfältige Spektrum seiner Tätigkeit.
Mehrfach beschäftigten Großvorhaben den Gerichtshof. Der 5. Senat hatte sich mit einer Klage und wiederholt mit Eilanträgen des BUND zu Änderungen beim Grundwassermanagement des Projekts Stuttgart 21 zu befassen. Einen Antrag, den Weiterbau wegen einer beabsichtigten erhöhten Grundwasserförderung vorläufig zu untersagen, lehnte der Senat ab. Er stoppte jedoch die Bauarbeiten zum Vollzug der 5. Planänderung und stellte in der Hauptsache fest, dass diese Planänderung rechtswidrig und nicht vollziehbar ist, weil sie unter Verletzung eines Mitwirkungsrechts des BUND ergangen ist. Der 10. Senat wies eine Klage des BUND gegen die Genehmigung für Block 9 des Großkraftwerks Mannheim nach zweitägiger Verhandlung und Anhörung zahlreicher Sachverständiger ab. Er verwarf insbesondere den Einwand, die Immissionsprognosen seien fehlerhaft, weil sie nicht die Gesamtanlage des Großkraftwerks betrachteten, sondern sich nur mit Block 9 beschäftigten. Gegen das Urteil hat der BUND Revision zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt (7 C 36.11). Der 8. Senat war in mehreren Eilverfahren mit der Ethylen-Pipline Süd befasst. Er hob den vom Verwaltungsgericht Stuttgart für einige Grundstücke beschlossenen Baustopp auf und bestätigte den Sofortvollzug vorläufiger Besitzeinweisungen. Anders als das Verwaltungsgericht sah er keine Sicherheitsbedenken gegen Bau und Betrieb der Rohrleitungsanlage. Der 3. Senat bestätigte einen vom Verwaltungsgericht Sigmaringen verhängten vorläufigen Baustopp für das Projekt Wiedervernässung der Moorlandschaft Pfrunger-Burgweiler Ried, weil die Planung an einem Verfahrensmangel leide. Er hatte sich auch erneut mit der Klage einer Pfarrgemeinde der Syrisch-Orthodoxen Kirche zu befassen, die den Einbau einer Krypta in ihre 1994 im Industriegebiet der Gemeinde Kirchardt genehmigte Kirche begehrt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte ein klageabweisendes Urteil des Senats aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Im Juli 2011 hat der 3. Senat die Klage erneut abgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision ist Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt (4 B 43.11). Das Projekt Stuttgart 21 war auch Gegenstand eines Verfahrens beim 6. Senat. Er entschied, dass ein Plakat der IHK Ulm zu Stuttgart 21 vorläufig hängen bleiben darf, weil ein noch nicht rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen, das die IHK zur Entfernung dieses Plakats verpflichtet, nicht vorläufig vollstreckbar ist. Über die Ende Februar 2012 zugelassene Berufung gegen das Urteil wird voraussichtlich im laufenden Jahr entschieden (siehe nachfolgend 4.). Aufmerksamkeit erregte auch das Normenkontrollurteil des 6. Senats zur Landesheimbauverordnung, die unter anderem verlangt, dass allen Heimbewohnern ein Einzelzimmer zur Verfügung stehen muss. Der Ansicht der antragstellenden Betreiberin eines Altenpflegeheims, die Verordnung sei mit höherrangigem Recht unvereinbar, folgte der 6. Senat nicht. Über die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision ist noch nicht entschieden (4 BN 1.12). Besonderes Interesse galt auch der Entscheidung des 1. Senats zur polizeilichen Überwachung ehemals sicherungsverwahrter Personen in Freiburg, die der Senat für rechtmäßig hielt.
Weitere Streitigkeiten im Fokus der Öffentlichkeit betrafen etwa die Sitzzuteilung im Bruchsaler Gemeinderat, eine Podiumsdiskussion zur Landtagswahl an einem Gymnasium in Markgröningen, den Betrieb von Automatenvideotheken an Sonn- und Feiertagen, die Bekämpfung von Kormoranen am Bodensee, den Unfall einer Lehrerin mit einem “Schulhund“, die Entziehung eines Doktorgrades wegen Unwürdigkeit, den Nichtraucherschutz in einer Einkaufspassage sowie Wohnungsdurchsuchungen bei mutmaßlichen Mitgliedern der Pforzheimer Hells Angels.
4. Verfahren von öffentlichem Interesse, in denen voraussichtlich im Jahr 2012 eine Entscheidung ansteht.
1. Senat
Verantwortlichkeit eines Weinbergeigentümers für Tagesbruchgefahr
Der Kläger wendet sich gegen ein vom Regierungspräsidium Freiburg (Beklagter) verhängtes Betretungsverbot für sein Weinberggrundstück. Das Grundstück liegt am Kahlenberg in der Gemeinde Herbolzheim. Dort wurde bis Ende der 1960er Jahre Eisenerz abgebaut. Unter dem Grundstück gibt es zahlreiche bergbaubedingte Hohlräume. Das Bergwerksgelände wurde 1972 an den Zweckverband Abfallbeseitigung Kahlenberg (Beigeladener) veräußert. Der Zweckverband betreibt in den Tagebaubereichen und in den Stollen eine Deponie. Am 13.02.2008 kam es ca. 40 m vom Grundstück des Klägers entfernt zu einem 25 m tiefen Tagesbruch. Dessen Durchmesser von anfänglich rund 6 m vergrößerte sich später durch Nachrutschen auf über 20 m. Die Gemeinde Herbolzheim sperrte kurz nach dem Tagesbruch die nähere Umgebung durch Trassierband und Zäune ab. Das Regierungspräsidium Freiburg verfügte im Juni 2008 ein Betretungsverbot für das Grundstück des Klägers und sagte eine angemessene Entschädigung zu. Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Freiburg abgewiesen. Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, auf seinem Grundstück sei die Gefahr eines Tagesbruchs gering und jedenfalls so weit beherrschbar, dass ihm die landwirtschaftliche Nutzung des Weinbergs nicht verwehrt werden dürfe. Zudem sei er als Grundstückseigentümer für die Tagbruchgefahr nicht verantwortlich. Denn diese Gefahr gehe von den Bergwerksstollen aus, für deren Zustand der beigeladene Zweckverband verantwortlich sei (1 S 1401/11).
Glasverbot am Konstanzer Bodenseeufer unwirksam ?
In einem Normenkontrollverfahren geht es um die Gültigkeit von §§ 2 und 4 der “Polizeiverordnung zum Schutz des frei zugänglichen Seeufers vor Verunreinigungen und den damit einhergehenden Gefahren“ der Stadt Konstanz vom 21. Juli 2011. § 2 der Verordnung untersagt für die zentralen Abschnitte des städtischen Bodensee- und Rheinufers während der Sommermonate von 19 Uhr bis 6 Uhr das „Mitführen von Glasflaschen, Gläsern und jeglichen sonstigen Behältnissen aus Glas, Porzellan oder anderen zerbrechlichen Materialien, wenn aufgrund der konkreten Umstände die Absicht erkennbar ist, dass deren Inhalt beim dauerhaften Verweilen konsumiert werden soll“. § 4 begründet eine Ausnahme von diesem Verbot u.a. für “konzessionierte Freiausschankflächen und Außenflächen mit Sondererlaubnis zum Ausschank“. Ein Student aus Konstanz hat im September 2011 beim Verwaltungsgerichtshof beantragt, die genannten Regelungen für unwirksam zu erklären. Er lasse sich in den Sommermonaten gern an den genannten Orten nieder und konsumiere dabei auch Wein und Mineralwasser sowie Bier aus Glasflaschen. Das Glasverbot greife unverhältnismäßig in seine Freiheitsrechte ein. Obwohl nur eine kleine Minderheit für Vandalismus und Scherben verantwortlich gemacht werden könne, sei die gesamte Bevölkerung von dem Verbot betroffen. Für ihn komme ein Konsum von Getränken aus PET-Flaschen aus Gründen des Umweltschutzes und der Gesundheit nicht in Betracht. Die Ausnahme für Freischankflächen und Außenflächen mit Sondererlaubnis sei sachlich nicht gerechtfertigt (1 S 2603/11).
2. Senat
Beihilfe zu Kosten für kieferorthopädische Behandlung bei Erwachsenen ?
In einem Berufungsverfahren begehrt eine Beamtin (Klägerin) vom Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg (Beklagter) Beihilfe zu den Aufwendungen für eine kieferorthopädische Behandlung. Nach der Beihilfeverordnung des Landes Baden-Württemberg ist eine solche Behandlung bei Erwachsenen von wenigen Ausnahmefällen abgesehen grundsätzlich nicht beihilfefähig. Die Klägerin sieht darin einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Für den grundsätzlichen Ausschluss gebe es keinen sachlichen Grund (2 S 2904/10).
3. Senat
Abweichung von Raumordnung für IKEA-Ansiedlung in Rastatt ?
In einem Berufungsverfahren geht es darum, ob für ein Einzelhandelsgroßprojekt des Unternehmens IKEA im Raum Rastatt eine Abweichung von Zielen der Raumordnung zugelassen werden muss. IKEA möchte mit Hilfe der Stadt Rastatt (Klägerin) auf deren Gemarkung westlich der Bundesautobahn A 5 ein IKEA-Einrichtungshaus, einen Bau- und Gartenmarkt sowie einen Küchenfachmarkt mit einer Verkaufsfläche von insgesamt ca. 40.000 m² errichten. Die Auffassung der Stadt, dieses Vorhaben laufe keinen verbindlichen Zielen der Raumordnung zuwider, teilte das Regierungspräsidium Karlsruhe (Beklagter) nicht. Die Stadt beantragte daher fürsorglich, eine Abweichung von Zielen des Landesentwicklungsplans Baden-Württemberg 2002 zuzulassen. Das Regierungspräsidium lehnte diesen Antrag ab. Die beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobene Klage der Stadt blieb erfolglos. Die dagegen von der Stadt und von IKEA (Beigeladene) eingelegten Berufungen wies der 3. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zurück (Urteil vom 17.12.2009, 3 S 2110/08). Auf Revisionen der Stadt und von IKEA hat das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Sache an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (Urteil vom 16.12.2010, 4 C 8.10). Zwar sei die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass das Vorhaben den Zielen des Landesentwicklungsplans widerspreche, nicht zu beanstanden. Jedoch müsse über den Hilfsantrag der Stadt, eine Abweichung von Zielen des Landesentwicklungsplans zuzulassen, erneut entschieden werden (3 S 351/11).
5. Senat
Zusätzlicher Lärmschutz beim Ausbau der Bahnstrecke Bülach-Schaffhausen ?
In zwei Klageverfahren geht es um einen Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Freiburg für die auf deutschem Hoheitsgebiet vorgesehenen Maßnahmen zum Ausbau der Eisenbahnstrecke Bülach-Schaffhausen im Zuge des Projekts “HGV (Hochgeschwindigkeitsverkehr) - Anschluss Bülach-Schaffhausen“. In beiden Verfahren werden Schutzauflagen begehrt. Klägerin ist zum einen die Gemeinde Lottstetten. Sie sieht sich durch den von der Eisenbahnstrecke künftig ausgehenden Lärm sowohl in ihrer Planungshoheit als auch in ihrem Eigentum verletzt. Dabei beruft sie sich auf die Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV). Danach sei ein Spitzenpegelkriterium festzusetzen. Ein “Schienenbonus“ dürfe nicht berücksichtigt werden. Kläger in dem anderen Verfahren sind neun Bürger der Gemeinde Lottstetten. Sie sehen sich durch den von der Bahnstrecke ausgehenden Lärm in ihrem Eigentum und in ihrer Gesundheit beeinträchtigt (5 S 739/10 und 5 S 927/10).
In beiden Verfahren ist Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf
Mittwoch, 25. April 2012, 11:00 Uhr
im Dienstgebäude des Verwaltungsgerichtshofs, Untergeschoss, Sitzungssaal III.
Verletzt geplante “Tank- und Rastanlage March“ kommunale Planungshoheit ?
In einem Normenkontrollverfahren geht es um das Planungsgebiet für eine neue Tank- und Rastanlage March an der Bundesautobahn A 5. Da die Tank- und Rastanlage ‘Schauinsland‘ den Bedarf an LKW-Stellplätzen nicht mehr abdeckt, plant das Regierungspräsidium Freiburg im Auftrag des Bundes einen Neubau an einem Standort im Ortsteil Holzhausen der Gemeinde March. Zur Sicherung seiner Planung erließ es Ende September 2009 eine Verordnung, die verbietet, auf den im Planungsgebiet für den Neubau liegenden Flächen Veränderungen vorzunehmen, die den Wert wesentlich steigern oder den geplanten Neubau erheblich erschweren. Mit ihrem Normenkontrollantrag begehrt die Gemeinde March, diese Verordnung für unwirksam zu erklären. Sie sieht sich in ihrer Planungshoheit verletzt, weil sich das in der Verordnung festgelegte Planungsgebiet in weiten Teilen mit ihrem Bebauungsplan ‘Gewerbegebiet Neufeld‘ überschneide. Darüber hinaus wäre das Regierungspräsidium gehalten gewesen, seine Planung der vom Gemeindeverwaltungsverband March-Umkirch beschlossenen Änderung des Flächennutzungsplans anzupassen. Einen Eilantrag der Gemeinde March, die Rechtsverordnung des Regierungspräsidiums vorläufig außer Vollzug zu setzen, hat der 5. Senat im Juni 2011 abgelehnt (5 S 2723/10).
Änderungen der “Tank- und Rastanlage Bühl“ für Nachbarn unzumutbar ?
In einem weiteren Klageverfahren geht es um einen Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom März 2011 für den Umbau und die Erweiterung der Tank- und Rastanlage Bühl an der Bundesautobahn A 5. Danach ist u.a. geplant, die Anzahl der Stellplätze für PKW und LKW erheblich zu erhöhen. Die Kläger sind Eigentümer eines Wohngrundstücks, das ca. 200 m von der planfestgestellten Anlage entfernt liegt. Sie machen geltend, durch die von der erweiterten Tank- und Rastanlage ausgehenden Emissionen unzumutbar betroffen zu sein (5 S 1749/11)
6. Senat
Was darf die IHK Ulm zum Projekt Stuttgart 21 öffentlich verlautbaren ?
In einem Berufungsverfahren geht es um Klagen von neun Firmen und Gewerbetreibenden (Kläger) gegen die Industrie- und Handelskammer (IHK) Ulm (Beklagte). Die Kläger sind kraft Gesetzes Mitglieder der IHK Ulm. Sie wenden sich gegen bestimmte öffentliche Verlautbarungen der Beklagten zum Projekt Stuttgart 21. Ihre Klagen hatten in erster Instanz Erfolg. Mit Urteil vom 12.10.2011 (1 K 3870/10) verurteilte das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Beklagte, ein ca. 100 qm großes Plakat an ihrem Verwaltungsgebäude in Ulm mit den Worten "Allerhöchste Eisenbahn! JA! Unsere Zukunft braucht die ICE-Strecke mit Stuttgart 21" zu entfernen und es zu unterlassen, auf ihren Internetseiten zu verlautbaren: „Allerhöchste Eisenbahn! JA zur Bahnstrecke und zu S21“. Darüber hinaus wurde sie verurteilt, folgende Äußerungen zu unterlassen:
- “Ulm ist das Bollwerk für Stuttgart 21“,
- “Ohne Stuttgart 21 endet die Neubaustrecke von Ulm kommend in Wendlingen sprichwörtlich auf dem Acker“,
- “auf der Magistrale für Europa von Paris nach Budapest ….. sind alternative Linienführungen, beispielsweise über Frankfurt und Ingolstadt nach München, durchaus denkbar ….. Anstatt in das europäische Netz integriert zu werden, würden große Teile Baden-Württembergs somit abgehängt“
- “Es wäre ein Schildbürgerstreich, wenn Baden-Württemberg … auf das Geld von Bund und Bahn verzichten würde“,
- “Ein Scheitern von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm würde die parlamentarische Demokratie auf den Kopf stellen“
- “Zehntausende Bürgerinnen und Bürger sprechen sich mittlerweile lautstark dagegen aus, obwohl viele erkennbar nicht ausreichend informiert sind“.
Dagegen richtet sich die vom 6. Senat Ende Februar 2012 zugelassene Berufung der Beklagten. Dreh- und Angelpunkt des Streits ist die Tragweite eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.06.2010 (8 C 20.09). Darin heißt, die Industrie- und Handelskammern hätten bei der Form, sozusagen dem "Wie", einer Äußerung zu beachten, dass sie als öffentlich-rechtliche Körperschaften öffentliche Aufgaben wahrnähmen. Ihre Tätigkeit sei im Vergleich zu Interessenverbänden und politischen Parteien generell beschränkt. Sie müssten als öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaft das höchstmögliche Maß an Objektivität walten lassen. Ihre Äußerungen müssten sachlich sein und die notwendige Zurückhaltung wahren. Dies stelle zum einen Anforderungen an die Formulierung, weshalb polemisch überspitzte oder auf eine emotionale Konfliktaustragung angelegte Aussagen unzulässig seien. Zum anderen verlange die notwendige Objektivität auch eine Argumentation mit sachbezogenen Kriterien und gegebenenfalls die Darstellung von Minderheitenpositionen.
Begleitung zum Arzt als Regelleistung des Heimträgers ?
In einem Berufungsverfahren geht es um die Frage, ob die Kosten für die Begleitung eines Heimbewohners zu einem Arzt außerhalb der Pflegeeinrichtung durch den allgemeinen Pflegesatz abgegolten sind oder vom Heimträger gesondert abgerechnet werden dürfen. Die Klägerin, eine gemeinnützige Aktiengesellschaft, ist Trägerin einer Pflegeeinrichtung im Ostalbkreis mit 101 Pflegeplätzen. Die Heimaufsicht des Landratsamts (Beklagter) stellte im Februar 2009 fest, dass die Klägerin eine Begleitung der Heimbewohner zu notwendigen Arztbesuchen nicht als Regelleistung anbietet. Daraufhin ordnete es an, die Klägerin habe als Regelleistung organisatorisch sicherzustellen, dass Bewohner bei einem Arztbesuch außerhalb der Einrichtung begleitet werden, sofern ihr Zustand dies erfordert, Dritte für die Begleitung nicht in Anspruch genommen werden können und die medizinisch notwendige Behandlung in der Einrichtung nicht möglich ist. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. In der Berufungsentscheidung wird es neben der schon in erster Instanz streitigen Frage, ob die Begleitung zum Arzt als Regelleistung durch den allgemeinen Pflegesatz abgegolten ist, auch darum gehen, ob das Heimgesetz im konkreten Fall überhaupt anwendbar ist.
Sportwetten-Werbeverbote rechtmäßig und vollziehbar ?
In zwei Beschwerdeverfahren des Eilrechtsschutzes geht es um Sportwetten-Verbote. Antragsteller sind ein Verein der ersten Fußball-Bundesliga und eine GmbH, die den Spielbetrieb eines anderen solchen Vereins abwickelt.
Im Verfahren 6 S 3470/11 wendet sich der Verein gegen die Vollstreckung einer bestandskräftigen Verfügung des Regierungspräsidiums Freiburg aus dem Jahr 2006. Sie verbietet ihm jegliche Werbung für ein Unternehmen, das Sportwetten anbietet, bzw. für deren Sportwettangebote oder für andere in Baden-Württemberg nicht zugelassene Sportwetten. Einen Antrag, das Verbot wegen neuerer Rechtsprechung aufzuheben, lehnte das Regierungspräsidium im August 2011 ab. Zugleich setzte es zur Vollstreckung des Verbots 15.000 Euro Zwangsgeld fest und drohte ein weiteres Zwangsgeld von 40.000 Euro an. Gegen beide Entscheidungen hat der Verein beim Verwaltungsgericht Freiburg Klagen erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Mit Beschluss vom 1.12.2011 hat das Verwaltungsgericht Freiburg den Sofortvollzug des Zwangsgelds und der weiteren Androhung ausgesetzt. Zum einen sei offen, ob das staatliche Sportwetten-Monopol rechtmäßig sei. Zum anderen sei das Zwangsgeld nicht in angemessener Frist und zudem gleichheitswidrig festgesetzt worden, weil die Behörde gegen den weit überwiegenden Teil der Vermittler von Sportwetten derzeit nicht einschreite. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Regierungspräsidiums.
Im Verfahren 6 S 342/12 der GmbH geht es um ein ähnliches sofort vollziehbares Verbot des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom August 2011, gegen das eine Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe anhängig ist. Den Antrag der GmbH, den Sofortvollzug dieses Verbots auszusetzen, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 3.2.2012 mit der Begründung abgelehnt, das Verbot sei voraussichtlich rechtmäßig. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
8. Senat
Windkraftanlagen im Konflikt mit Regionalplanung
In zwei Berufungsverfahren wird um die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Windkraftanlagen in den Landkreisen Schwäbisch Hall und Sigmaringen gestritten. Klägerin in beiden Verfahren ist ein in Norddeutschland ansässiges Unternehmen. Im Mittelpunkt des Streits stehen Regionalpläne, die Vorrang- und Ausschlussgebiete für regionalbedeutsame Windkraftanlagen festlegen.
Im ersten Verfahren geht es um eine in der Gemeinde Frankenhardt (Beigeladene zu 1) geplante Windkraftanlage mit 120 m Nabenhöhe und 47 m Rotorradius. Das Land-ratsamt Schwäbisch Hall (Beklagter) lehnte den Antrag auf Erteilung eines Bauvorbescheids im Februar 2005 ab, weil die Gemeinde Frankenhardt ihr Einvernehmen versagt hatte. Im Klageverfahren berief sich das Landratsamt auch auf die im März 2006 getroffenen Festlegungen über Vorrang- und Ausschlussgebiete für regional-bedeutsame Windkraftanlagen in der Teilfortschreibung “Windenergie“ des Regionalplans Heilbronn-Franken 1995 bzw. im neuen Regionalplan Heilbronn-Franken 2020. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat die Behörde verpflichtet, den Bauvorbescheid zu erteilen. Es hält die regionalplanerischen Festlegungen für unwirksam. Gegen das Urteil hat nur der Regionalverband Heilbronn-Franken (Beigeladener zu 2) Berufung eingelegt. In der Berufungsentscheidung wird zunächst zu klären sein, ob der Regionalverband durch die Erteilung des Bauvorbescheids in eigenen (Planungs-)Rechten verletzt sein kann. Gegebenenfalls wird ferner zu entscheiden sein, ob er mit seinen Festlegungen im Regionalplan der Windenergie “substanziell Raum verschafft“ hat, wie es das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung verlangt (8 S 217/11).
Im zweiten Verfahren ist eine in der Gemeinde Ostrach (Beigeladene zu 1) geplante Windkraftanlage mit 100 m Nabenhöhe und 41 m Rotorradius im Streit. Das Landratsamt Sigmaringen (Beklagter) hatte den Bauvorbescheidantrag im Februar 2005 abgelehnt, weil die Gemeinde Ostrach ihr Einvernehmen versagt hatte und dem Vorhaben öffentliche Belange entgegenstünden. Im Klageverfahren berief sich das Landratsamt auch auf die Festlegungen über Vorrang- und Ausschlussgebiete im Teilregionalplan “Windenergie 2006“ des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben (Beigeladener zu 2). Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat die auf Erteilung des Bauvorbescheids gerichtete Verpflichtungsklage abgewiesen. In einer Berufungsverhandlung am 7. Juli 2010 wurde das Ruhen des Verfahrens angeordnet, um eine außergerichtliche Einigung zu ermöglichen. Im Mai 2011 hat die Klägerin das Verfahren wiederangerufen. In der Berufungsentscheidung wird zu klären sein, ob der Regionalverband mit seinen Festlegungen im Regionalplan der Windenergie “substanziell Raum verschafft“ hat, wie es das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung verlangt. Die Entscheidung wird voraussichtlich noch in diesem Frühjahr ohne weitere mündliche Verhandlung ergehen (8 S 1370/11).
9. Senat
Was setzt staatliche Anerkennung einer Privatschule voraus ?
In einem Berufungsverfahren begehrt eine gemeinnützige GmbH aus Niedersachsen (Klägerin), drei von ihr getragene (dreijährige) berufliche Gymnasien im Bodenseekreis staatlich anzuerkennen. Die Gymnasien sind als Privatschulen genehmigt. Mit einer staatlichen Anerkennung würden sie darüber hinaus das Recht erhalten, das Abitur abzuhalten und Zeugnisse zu erteilen. Das Regierungspräsidium Tübingen (Beklagter) verweigert dies wegen Verstößen gegen die Verordnung zum Vollzug des baden-württembergischen Privatschulgesetzes. Die Verordnung verlangt u.a., dass Privatschulen die für entsprechende öffentliche Schulen geltenden Aufnahme- und Versetzungsbestimmungen anwenden. Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat die Klage abgewiesen. In dem wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufungsverfahren geht es darum, unter welchen Voraussetzungen einer Privatschule die Eigenschaft einer anerkannten Ersatzschule zu verleihen ist. Dabei sind die Bestimmungen der Vollzugsverordnung zum Privatschulgesetz an dem Recht auf Errichtung von privaten Schulen nach Art. 7 Abs. 4 GG zu messen (9 S 362/12).
“Puten- und Hähnchen-Filetstreifen, gebraten“ irreführend ?
In einem lebensmittelrechtlichen Verfahren streitet eine Herstellerin von Geflügelfleischprodukten aus dem Landkreis Schwäbisch Hall (Klägerin) mit dem Landratsamt (Beklagter) darüber, ob bestimmte Produkte der Klägerin irreführend bezeichnet sind. Es geht um “Puten-Filetstreifen, gebraten“ und “Hähnchen-Filetstreifen, gebraten“. Das Landratsamt hält diese Bezeichnungen wegen der industriellen Herstellung der Produkte für irreführend. Dabei werden Puten- bzw. Hähnchenbrüste “getumbelt“, d.h. in einer großen Trommel mechanisch behandelt. Sie erhalten dadurch eine weiche Struktur und werden teilweise zerrissen. Anschließend werden sie mit einem brätartig fein zerkleinerten Fleischanteil in einen Kunstdarm gefüllt und gekocht. Die erkaltete Masse wird in Streifen gleicher Größe geschnitten, die schließlich frittiert werden. Die Behörde beanstandet, bei dieser Herstellungsweise handele es sich nicht mehr um “Filet“. Die Klägerin macht geltend, es gebe keine allgemeine Verkehrsauffassung, dass unter “Puten-Filetstreifen, gebraten“ und “Hähnchen-Filetstreifen, gebraten“ ausschließlich in Streifen geschnittenes Fleisch ohne Veränderung des Gewebeverbandes verstanden werde. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat die Feststellungsklage der Klägerin, dass ihre Produktbezeichnungen nicht irreführend sind, abgewiesen. Dagegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung der Klägerin (9 S 1353/11).
10. Senat
Gefahren durch radioaktive Strahlung beim Rückbau des KKW Obrigheim ?
In einem atomrechtlichen Verfahren klagen Nachbarn des Kernkraftwerks Obrigheim gegen die Genehmigung zur Stilllegung und zum Rückbau des Kernkraftwerks (2. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung). Das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg (Beklagter) hat die Genehmigung der EnBW Kernkraft GmbH (Beigeladene) im Oktober 2011 erteilt. Die Klage ist bislang nicht begründet worden. Soweit nach Aktenlage erkennbar, fühlen sich die Kläger durch die angegriffene Genehmigung in ihren Grundrechten auf Leben und körperliche Unversehrtheit verletzt. Sie befürchten eine radioaktive Verstrahlung der Umgebung und ihrer Wohnungen als Folge eines Störfalles bei Rückbaumaßnahmen. Die Genehmigung stelle nicht sicher, dass bei einem solchen Störfall keine Radioaktivität freigesetzt werde, insbesondere beim Absturz eines Großflugzeugs (10 S 3450/11).
12. Senat
Unterhaltsleistung auch bei anonymer Samenspende ?
In einem Berufungsverfahren geht es um Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Klägerin ist ein dreijähriges Kind, das durch seine allein sorgeberechtigte Mutter vertreten wird. Die Klägerin wurde durch künstliche Befruchtung mit dem Samen eines anonymen Spenders gezeugt. Der Landkreis Zollernalbkreis (Beklagter) lehnte es ab, der Klägerin Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zu gewähren. Er begründete dies damit, die Mutter habe bewusst auf die Kenntnis des Vaters und somit auf einen gesetzlich zum Unterhalt verpflichteten Vater verzichtet, den der Sozialleistungsträger in Anspruch nehmen könnte. Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat die nachfolgende Verpflichtungsklage mit der Begründung abgewiesen, das Unterhaltsvorschussgesetz sei nicht anwendbar. Es gelte nur in Fällen, in denen die Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils gewissermaßen planwidrig ausblieben. Das sei aber nicht der Fall, wenn sich die Mutter des Kindes - wie hier - bewusst und freiwillig in eine Situation begeben habe, in der allein sie als unterhalts- und sorgeverpflichteter Elternteil anzusehen sei. Der 12. Senat hat auf Antrag der Klägerin die Berufung mit der Begründung zugelassen, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (12 S 2935/11).
In diesem Verfahren ist Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf
Donnerstag, 3. Mai 2012, 14:30 Uhr
im Dienstgebäude des Verwaltungsgerichtshofs, Untergeschoss, Sitzungssaal III.
5. Partnerschaft mit dem Obersten Gericht der Republik Aserbaidschan
Am 8. Juni 2011 haben die Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und des Obersten Gerichts der Republik Aserbaidschan in Baku eine Partnerschaft zwischen ihren Gerichten gegründet. Gegenstand der Partnerschaft soll ein Informations- und Erfahrungsaustausch in allen Bereichen sein, vor allem aber im Verwaltungsrecht. Die Gerichtspartnerschaft wird finanziell von der Robert-Bosch-Stiftung unterstützt. Im Zuge der Partnerschaft hat eine Delegation des Verwaltungsgerichtshofs mit dem Präsidenten und zwei Vorsitzenden Richtern im November 2011 eine Woche lang in Aserbaidschan Gerichte aller Instanzen besucht, die mit verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten befasst sind. Die Reise wurde mit Mitteln der Robert-Bosch-Stiftung finanziert. Bei ihrer Organisation und Durchführung wirkten Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) mit. In intensiven Gesprächen mit den Richterinnen und Richtern vor Ort wurde über die Anwendung des aserbaidschanischen Verwaltungsverfahrensgesetzes und des Verwaltungsprozesskodexes diskutiert, die nach deutschem Vorbild geschaffen worden und erst vor kurzem in Kraft getreten sind. Im März 2012 haben Richter und Richterinnen aus Aserbaidschan im Rahmen einer Informationsreise der GIZ den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg und das Verwaltungsgericht Karlsruhe sowie das Bundesverfassungsgericht und die Stadtverwaltungen Karlsruhe und Ludwigshafen besucht.
6. VGH Baden-Württemberg MootCourt Öffentliches Recht
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) hat als erstes deutsches Verwaltungsgericht zusammen mit den juristischen Fakultäten in Baden-Württemberg, dem Landesjustizprüfungsamt und der Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht im Deutschen AnwaltVerein einen MootCourt gegründet. Ein MootCourt ist ein fiktives Gericht, vor dem Jura-Studierende im Rollenspiel trainieren, um ihre künftige Praxistauglichkeit zu fördern. Der VGH-MootCourt ist derzeit mit dem Präsidenten des VGH, der Präsidentin des Landesjustizprüfungsamtes, einem Rechtsanwalt, einer Professorin der Rechtswissenschaft sowie dem Projektleiter beim VGH besetzt. Eine spezielle Verfahrensordnung legt Teilnahmebedingungen und weitere Einzelheiten fest. Am 20. Juli 2012 wird ab 9 Uhr vor dem MootCourt erstmals verhandelt, und zwar über einen “echten“ beim VGH anhängigen Fall. Es geht um das im Normenkontrollverfahren 1 S 2603/11 umstrittene Glasverbot der Stadt Konstanz (siehe oben 4.). Die Beteiligten dieses Verfahrens haben dem Rollenspiel zugestimmt. Studierende an den Universitäten in Baden-Württemberg bereiten sich auf die fiktive Verhandlung vor. Jede juristische Fakultät schickt ihr Spitzenreiter-Team mit je vier Studierenden in die Endausscheidung. Bewertet werden insbesondere die Eingangsplädoyers, die Leistungen im Rechtsgespräch sowie die Schlussplädoyers. Die Gewinner erhalten Geldpreise und Angebote für Praktika oder für Ausbildungsplätze als Referendare beim VGH oder bei einer auf Verwaltungsrecht spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei. Die Öffentlichkeit ist herzlich eingeladen. Weitere Informationen sind auf der Homepage des VGH unter dem Link “VGH MootCourt“ zu finden.