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Freiburg: Klage von Anwohnern des Augustinerplatzes wegen nächtlichen Lärms überwiegend erfolgreich

Datum: 17.08.2023

Kurzbeschreibung: Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat in einem Berufungsverfahren das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 10. Oktober 2018 - 4 K 805/16 - teilweise bestätigt und die Stadt Freiburg verurteilt, über polizeiliche Maßnahmen zum Schutz der Nachtruhe der Anwohner des Augustinerplatzes neu zu entscheiden.

Freiburg: Klage von Anwohnern des Augustinerplatzes wegen nächtlichen Lärms überwiegend erfolgreich

Sachverhalt und Verfahren vor dem VG

Zwei Anwohner des Augustinerplatzes (Kläger) hatten im Laufe des Jahres 2016 beim Verwaltungsgericht Freiburg Klage mit dem Ziel eingereicht, dass die Stadt Freiburg (Beklagte) ab 24:00 Uhr gegen den von der nächtlichen Freizeitnutzung des Augustinerplatzes ausgehenden Lärm einschreitet. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens bei der Landesanstalt für Umwelt (LUBW), das in zwei Nächten Beurteilungspegel bis zu 73 dB(A) und 78 dB(A) feststellte, verurteilte das Verwaltungsgericht die Beklagte, geeignete polizeiliche Maßnahmen zur Durchsetzung der den Schutz der Nachtruhe bezweckenden Verbote ihrer Polizeiverordnung vom 29.09.2009 zu ergreifen, soweit und solange an den Wohnungen der Kläger zwischen 24:00 Uhr und 06:00 Uhr Beurteilungspegel von 62 dB(A) regelmäßig überschritten werden (siehe Pressemitteilung des VG Freiburg vom 6. Dezember 2018).

Berufungsverfahren vor dem VGH

Hiergegen legte die Beklagte Berufung zum VGH ein. Nachdem das Berufungsverfahren auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten mehr als zweieinhalb Jahre lang ruhte und die Einigungsgespräche während des Ruhens des Verfahrens erfolglos blieben, hat der VGH im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 3. August 2023 über die Berufung der Beklagten entschieden.

Urteil des VGH

Der 1. Senat des VGH änderte in seinem Urteil vom 3. August 2023 das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg teilweise ab und verurteilte die Beklagte, über den Antrag der Kläger, geeignete polizeiliche Maßnahmen zur Durchsetzung der den Schutz der Nachtruhe bezweckenden Verbote ihrer Polizeiverordnung vom 29.09.2009 an den Wohnungen der Kläger in der Zeit zwischen 24:00 und 06:00 Uhr zu ergreifen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Kläger könnten - anders als das Verwaltungsgericht angenommen habe - nicht verlangen, dass die Beklagte geeignete polizeiliche Maßnahmen zur Durchsetzung der den Schutz der Nachtruhe bezweckenden Verbote ihrer Polizeiverordnung vom 29.09.2009 ergreife, soweit und solange an den Wohnungen der Kläger zwischen 24:00 Uhr und 06:00 Uhr Beurteilungspegel von 62 dB(A) regelmäßig überschritten werden. Insoweit seien ihre Klagen unzulässig und daher abzuweisen. Denn das von den Klägern zur Beschreibung des Klageziels verwendete Kriterium der „Regelmäßigkeit“ sei nicht hinreichend bestimmt. Der zu erreichende Erfolg bleibe unklar. Ein jedes Wochenende festgestelltes Überschreiten der genannten Beurteilungspegel wäre im Wortsinne ebenso „regelmäßig“ wie ein zweimal in der Woche oder täglich vorkommendes Überschreiten.

Jedoch hätten die Kläger einen Anspruch auf erneute Entscheidung der Beklagten über ihren Antrag auf polizeiliches Einschreiten. Denn die Beklagte habe ihr nach § 3 PolG bestehendes polizeiliches Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt. Das Verbot des Musizierens mit Instrumenten und das Abspielen von Musik in § 1 Abs. 1 der Polizeiverordnung der Beklagten vom 29.09.2009 (PolVO) und der Schutz der Nachtruhe in § 3 PolVO dienten - entgegen der Auffassung der Beklagten - dem Schutz der Anwohner. Die Beklagte habe nicht erkannt, dass sie, nicht der Polizeivollzugsdienst des Landes für ein Vorgehen gegen Verstöße gegen § 1 Abs. 1 und § 3 PolVO originär zuständig sei und dass sie polizeirechtliche Einzelmaßnahmen gegen Verstöße gegen § 1 Abs. 1 und § 3 PolVO ergreifen könne. Zudem lägen die Voraussetzungen dafür vor, dass die Beklagte eine Polizeiverordnung mit einem nächtlichen Glasflaschenverbot für den Augustinerplatz erlasse. Bei ihrer erneuten Entscheidung werde die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessensausübung diese Mittel zu berücksichtigen haben.

Eine Entscheidung der Beklagten, zukünftig von nicht mindestens einem dieser Mittel in erheblichem Umfang Gebrauch zu machen, werde nicht ermessensgerecht sein. Denn ein vollständiges oder weitgehendes Absehen von polizeilichen Maßnahmen begründe angesichts der dann zu erwartenden erheblichen Lärmpegel an den Wohnungen der Kläger die konkrete Gefahr der erheblichen Schädigung der Gesundheit der Kläger. Zudem handele es sich bei § 1 Abs. 1 und § 3 PolVO um von der Beklagten selbst gesetztes Recht. Ihr Unterlassen, vorhandene wirksame Maßnahmen zur Einhaltung dieser Vorschriften zu ergreifen, begründe - wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt habe - ein strukturelles Vollzugsdefizit, das zu beheben in die originäre Verantwortung der Beklagten falle.

Dieses Vollzugsdefizit sei im Hinblick auf § 1 Abs. 1 PolVO von erheblichem Gewicht. Denn es sei offenkundig, dass nächtliches Musizieren und Abspielen von Musik über Lautsprecher gegen § 1 Abs. 1 PolVO verstoße, dass solche Verstöße im Regelfall unschwer festzustellen seien, dass Verstöße gegen § 1 Abs. 1 PolVO Ordnungswidrigkeiten seien, dass bei solchen Verstößen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Beschlagnahme von Musikinstrumenten und Lautsprechern grundsätzlich vorlägen und dass solche Beschlagnahmen und die Durchführung von Ordnungswidrigkeitenverfahren in nicht unerheblichem Umfang zum Schutz der Nachtruhe beitragen könnten. Zudem bestehe ein schützenswertes Interesse der Platznutzer, nachts dort zu musizieren oder Musik über Lautsprecher abzuspielen, erkennbar nicht. Auch für Störungen der Nachtruhe nach § 3 PolVO durch Rufen und Klatschen habe das Vollzugsdefizit Gewicht. Zwar dürfte nicht in demselben Umfang wie bei Störungen durch Musik offenkundig sein, dass Verstöße gegen die Polizeiverordnung vorlägen und welchen Personen sie zuzurechnen seien. Aber in zahlreichen Fällen dieser Art dürfte die Verletzung von § 3 PolVO ohne übermäßigen Aufwand durch die Beklagte feststellbar sein. Das Sachverständigengutachten zeige, dass nächtliches Rufen und Klatschen eine erhebliche Lärmquelle sei.

Unter Beachtung dieser Maßgaben stehe es im Ermessen der Beklagten, wie sie gegen Verstöße gegen § 1 Abs. 1 und § 3 PolVO vorgehe, und obliege es ihrem grundsätzlich weiten Normsetzungsermessen, ob sie eine Polizeiverordnung mit einem Glasflaschenverbot für den Augustinerplatz erlasse. Die Beklagte könne dabei im Rahmen einer Erstellung eines Gesamtkonzepts zu ergreifende Maßnahmen unterschiedlich gewichten sowie aufeinander abstimmen und dürfe dabei berücksichtigen, dass es sich bei der Entstehung von erheblichem nächtlichen Lärm auf dem Augustinerplatz durch sich dort aufhaltende Nutzer um ein komplexes, dynamisches Geschehen handele, das von zahlreichen Faktoren abhängig sei und daher ein stets erneut der jeweiligen Situation angepasstes polizeiliches Vorgehen unter Berücksichtigung aller grundsätzlich gegebenen Handlungsmöglichkeiten erfordere.

Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde nicht zugelassen. Dagegen können die Kläger und die Beklagte binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht einlegen (Az. 1 S 1718/22).

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