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Keine Beihilfe zu den Aufwendungen für eine Chromosomenuntersuchung; Beamtin mit balancierter Translokation muss Kosten selbst tragen

Datum: 29.08.2017

Kurzbeschreibung: 
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit Urteil vom 29. Juni 2017 entschieden, dass eine Beamtin mit einer genetischen Veränderung in der Form einer balancierten Translokation die Kosten für eine Chromosomenuntersuchung selbst tragen muss. Ein beihilferechtlicher Anspruch auf Kostenersatz gegen den Dienstherrn besteht nicht.

Bei einer Translokation werden Chromosomenabschnitte an eine andere Position innerhalb des Chromosomenbestandes verlagert. Im Fall einer unbalancierten Translokation entstehen Zellen mit fehlenden oder doppelt vorhandenen Chromosomenabschnitten. Sie führen häufig zu Anomalien und Fehlbildungen. Bei einer balancierten Translokation ist ein Chromosom oder ein Chromosomenabschnitt auf ein anderes Chromosom transloziert, wobei sich die Gesamtmenge des Erbguts nicht ändert, sondern im Gleichgewicht bleibt. Sie bleibt für den Träger in der Regel ohne Auswirkung, da das Genom vollständig erhalten bleibt. Menschen mit einer balancierten Translokation haben jedoch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, Kinder mit einer unbalancierten Translokation zu bekommen.

Die 1985 geborene Klägerin ließ 2014 auf Anraten des Instituts für Humangenetik des Universitätsklinikums Heidelberg bei sich eine Chromosomenuntersuchung durchführen, nachdem bei ihrem Vater eine genetische Veränderung in Form einer balancierten Translokation der Chromosomen 2 und 20 festgestellt worden war und ein weiterer (entfernter) Verwandter väterlicherseits eine geistige Behinderung sowie Epilepsie aufgrund einer unbalancierten Translokation dieser Chromosomen aufwies. Zudem sind in der väterlichen Familie mehrere Kinder früh verstorben, bei denen vermutet wird, dass sie ebenfalls Träger einer unbalancierten Translokation der genannten Chromosomen gewesen sein könnten. Auch traten in der Familie zahlreiche Fehlgeburten auf. Die Chromosomenuntersuchung ergab, dass die Klägerin ebenfalls Trägerin der balancierten Translokation ist.

Die Klägerin ist als Landesbeamtin zu 50 % beihilfeberechtigt. Sie beantragte daher beim Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg die Gewährung von Beihilfe zu den Aufwendungen für die Chromosomenuntersuchung in Höhe von 833,61 EUR. Das Landesamt lehnte die Erstattung ab, da die Aufwendungen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Heilung oder Linderung einer Erkrankung oder eines bestehenden Leidens stünden.

Der hiergegen erhobenen Klage gab das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 29. Januar 2016 statt und verpflichtete das Land Baden-Württemberg (Beklagter), der Klägerin für den Gentest eine Beihilfe in Höhe von 416,81 EUR zu gewähren. Zwar seien die Aufwendungen nicht aus Anlass einer Krankheit entstanden. Die balancierte Translokation wirke sich auf die Körper- und Geistesfunktionen der Klägerin - wie sie auch selbst einräume - nicht negativ aus. Die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen ergebe sich aber aus § 10 Abs. 3 Nr. 3 der Beihilfeverordnung (BVO), wonach Aufwendungen für ambulante ärztliche Leistungen beihilfefähig seien, wenn diese notwendig seien, um Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden (Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge). Die Kenntnis um das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Gendefekts diene der Verhinderung von weiteren Erkrankungen der Klägerin gerade im Fall einer Schwangerschaft.

Auf die Berufung des Beklagten hat der VGH das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage auf Kostenerstattung abgewiesen. Zur Begründung, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Ersatz der für den Gentest entstandenen Aufwendungen habe, führt der 2. Senat in seinem Urteil aus:

Zutreffend sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Aufwendungen für den Gentest nicht nach § 6 Abs. 1 BVO beihilfefähig seien, da sie nicht aus Anlass einer Krankheit angefallen seien. Krankheit sei ein regelwidriger Zustand des Körpers oder des Geistes, der der ärztlichen Behandlung bedürfe. Ob die balancierte Transloka­tion, auch wenn sie der Klägerin keine Beschwerden verursache und sie körperlich und geistig nicht beeinträchtige, als „regelwidriger Zustand“ anzusehen sei, könne offen bleiben. Denn es fehle jedenfalls an dessen Behandlungsbedürftigkeit im Sinne des Beihilferechts, da die durchgeführte Chromosomenuntersuchung die Veränderung des Chromosomensatzes unberührt lasse. Die von der Klägerin geltend gemachten psychischen Beschwerden infolge der Ungewissheit, ob sie unter dem Gendefekt leide, stellten Belastungen dar, die, selbst wenn sie das Ausmaß einer psychischen Krankheit angenommen hätten, nicht durch die Chromosomenuntersuchung therapiert würden, sondern psychotherapeutische Maßnahme angezeigt erscheinen ließen.

Die Chromosomenuntersuchung sei zwar eine Früherkennungsmaßnahme, gehöre aber nicht zu den in § 10 Abs. 1 BVO aufgeführten beihilfefähigen Früherkennungsmaßnahmen. Früherkennungsmaßnahmen seien bei Erwachsenen nur zur Früherkennung von Krebserkrankungen sowie in bestimmten Fällen bei Personen vom Beginn des 36. Lebensjahres an erstattungsfähig.

Schließlich sei der Gentest auch keine beihilfefähige Maßnahme der Gesundheitsvorsorge (medizinische Vorsorgeleistung) nach § 10 Abs. 3 BVO. Eine Beihilfefähigkeit setze insoweit voraus, dass die Aufwendungen notwendig seien, um eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen, oder Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden (§ 10 Abs. 3 Nr. 1, 3 BVO). Daran fehle es hier, da die balancierte Translokation keine Krankheit im beihilferechtlichen Sinne sei. Etwas anderes gelte auch nicht für die von der Klägerin beklagten psychischen Beschwerden und etwaige künftige Schwangerschaftskomplikationen. Denn medizinische Vorsorgeleistungen seien auf die Änderung des festgestellten Körper-, Geistes- oder Seelenzustandes des Betroffenen gerichtet. Der Gentest diene jedoch nur der Diagnose und könnte daher nur als Früherkennungsmaßnahme beihilfefähig sein; deren Erstattungsfähigkeit habe der Gesetzgeber in § 10 Abs. 1 BVO jedoch abschließend geregelt.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (2 S 2014/16).

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