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Liturgisches Glockengeläut am frühen Morgen für Anwohner zumutbar; Grundrechte nicht verletzt
Datum: 19.06.2012
Kurzbeschreibung: Das zweiminütige liturgische Glockengeläut der Konradskirche in Remshalden-Geradstetten werktags um 6 Uhr ist für einen Anwohner der Kirche nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz zumutbar, und zwar auch unter Berücksichtigung seiner Grundrechte, insbesondere der Religionsfreiheit. Das hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) mit Urteil vom 3. April 2012 entschieden, das den Beteiligten nunmehr zugestellt worden ist. Er hat damit die Berufung eines Anwohners (Kläger) gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart zurückgewiesen, das seine Unterlassungsklage gegen die Evangelische Kirchengemeinde Geradstetten (Beklagte) abgewiesen hatte.
Der VGH stellt zunächst fest, dass es nicht um eine innerkirchliche Angelegenheit gehe, die der Zuständigkeit staatlicher Gerichte entzogen wäre. Der Kläger fühle sich nicht als Kirchenmitglied gestört. Er sehe im Glockengeläut vielmehr eine akustische Beeinträchtigung seiner persönlichen, auch von religiösen Vorstellungen getragenen Ruhe. Insoweit stehe ihm aber auch unter besonderer Berücksichtigung seiner Grundrechte kein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz zu. Das Glockengeläut sei keine schädliche Umwelteinwirkung im Sinne dieses Gesetzes. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass die damit verbundenen Immissionen Schwellenwerte der Technischen Anleitung (TA) Lärm überschritten. Die Immissionen seien zudem herkömmlich, sozial angemessen und allgemein akzeptiert. Die TA Lärm schütze die Nachtruhe grundsätzlich nur bis 6 Uhr.
Anderes ergebe sich nicht unter Berücksichtigung der Grundrechte des Klägers. Das Glockengeläut berühre zwar seine Religionsfreiheit. Diese Einwirkung gehe aber nicht vom Staat aus. Der Staat sei auch nicht verpflichtet, zum Schutz der Religionsfreiheit des Klägers gegen die Beklagte einzuschreiten. Die Beklagte übe mit dem Glockengeläut ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte eigene Rechte aus. Die widerstreitenden grundrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Gewährleistungen seien daher in einer Abwägung schonend auszugleichen. Dieser schonende Ausgleich liege in der Beachtung der immissionsschutzrechtlichen Schwellenwerte. Ein weitergehender Immissionsschutz vor Glaubens- und Bekenntnisbekundungen der Beklagten stehe dem Kläger nicht zu. Denn dies würde der laizistischen Weltanschauung einen mit der Religionsfreiheit unvereinbaren Vorrang gegenüber anderen Weltanschauungen einräumen. Im Übrigen verbleibe dem Kläger schon wegen der Kürze des Läutens der größte Teil der Zeit zwischen 6 und 8 Uhr zu ruhiger Schriftlesung und Meditation. Schließlich geböten auch das Eigentumsgrundrecht, das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung und der allgemeine Gleichheitssatz oder eines der speziellen grundrechtlichen Diskriminierungsverbote keine abweichende Würdigung.
Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassung der Revision kann binnen eines Monats nach Zustellung des schriftlichen Urteils durch Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werden (Az.: 1 S 241/11).
