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Vorläufige Dienstenthebung der Bürgermeisterin von Niederstetten (Main-Tauber-Kreis) rechtswidrig; Berufung des Landes gegen Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart erfolglos

Datum: 25.11.2022

Kurzbeschreibung: Die disziplinarrechtliche vorläufige Dienstenthebung der Bürgermeisterin von Niederstetten (Klägerin) ist formell rechtswidrig, weil im Verfahren ein Amtsträger mitgewirkt hat, gegen den die begründete Besorgnis der Befangenheit besteht und darüber hinaus ein Anhörungsmangel vorliegt, der im weiteren Verfahren nicht geheilt wurde. Das hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) mit einem jetzt zugestellten Urteil vom 27. Oktober 2022 entschieden und die Berufung des beklagten Landes gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 15. September 2021 (DL 23 K 2371/21), mit dem die vom Landratsamt Main-Tauber-Kreis verfügte vorläufige Dienstenthebung aufgehoben worden war, zurückgewiesen.

Die Klägerin ist seit Mai 2018 Bürgermeisterin der Stadt Niederstetten. Am 30. Juli 2020 leitete der Landrat des Main-Tauber-Kreises gegen die Klägerin ein Disziplinarverfahren ein, welches später auf weitere Sachverhalte ausgedehnt und mit Blick auf ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Urkundenfälschung bzw. Falschbeurkundung im Amt ausgesetzt wurde. Der Klägerin werden sieben im Wesentlichen ähnlich gelagerte Pflichtverletzungen im Zeitraum zwischen März 2019 und März 2020 vorgeworfen, nämlich der Abschluss verschiedener Grundstückskaufverträge und Architektenverträge ohne entsprechenden Gemeinderatsbeschluss unter Verletzung der ihr nach der Hauptsatzung der Stadt Niederstetten eingeräumten Kompetenzen. Hinzu kommt die nachträgliche Abänderung eines bereits ausgefertigten Gemeinderatsprotokolls im September 2019, deren strafrechtliche Bewertung noch aussteht.

Nachdem eine nach längerer Erkrankung für den 26. April 2021 geplante Wiederaufnahme des Dienstes der Klägerin dadurch verhindert worden war, dass ihr durch Auswechseln der Türschlösser im Eingangsbereich zum Rathaus der Zutritt zum Dienstgebäude verwehrt wurde, enthob das Landratsamt die Klägerin mit Verfügung vom 27. April 2021 vorläufig des Dienstes, ohne den Ablauf einer ihr zuvor eingeräumten Äußerungsfrist abzuwarten. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Betriebsfrieden innerhalb der Kommunalverwaltung erheblich gestört sei. Von welcher Seite die Störung ausgehe, sei unerheblich. Maßgeblich sei allein die objektive Sicherstellung des Dienstbetriebs.

Der hiergegen erhobenen Klage der Klägerin gab das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 15. September 2021 statt (DL 23 K 2371/21). Die Verfügung leide zwar nicht an durchgreifenden formellen Fehlern, sei jedoch materiell rechtswidrig. Auch wenn die Notwendigkeit einer Störungsabwehr gegeben sei, fehle es an der erforderlichen besonderen Verhältnismäßigkeit zwischen der vorläufigen Dienstenthebung und der prognostisch zu erwartenden Disziplinarmaßnahme. Die mit der vorläufigen Dienstenthebung verbundenen Folgen für die Klägerin gingen weit über die bloße Nichtausübung des Dienstes hinaus. Es sei insbesondere zu berücksichtigen, dass das Disziplinarverfahren durchgehend medial durch diverse Presseorgane begleitet und die Verfehlungen der Klägerin hierdurch öffentlich diskutiert worden seien. Diese Presseberichterstattung sei nicht zuletzt durch das Landratsamt selbst initiiert und gefördert worden.

Der VGH hat das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis bestätigt. Zur Begründung seines Urteils führt der 6. Senat des VGH aus: Die angefochtene Verfügung sei formell rechtswidrig, weil die Mitwirkung des Leiters des Kommunal- und Rechnungsprüfungsamts des Landratsamts im Verfahren wegen begründeter Besorgnis der Befangenheit fehlerhaft sei. Dieser habe zu den konkret in Rede stehenden Vorwürfen, die ihm lediglich aus der Presse bekannt gewesen seien, in einem Zeitungsinterview inhaltlich in einer Weise Stellung bezogen, die geeignet sei, eine Voreingenommenheit anzunehmen und damit die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Dem in der Öffentlichkeit entstandenen Eindruck der Voreingenommenheit sei weder durch eine klarstellende Pressemitteilung des Landratsamts noch durch eine Gegendarstellung bezüglich etwaiger falsch zitierter Aussagen entgegengewirkt worden. Auch im Disziplinarverfahren selbst habe der betreffende Amtsleiter nichts unternommen, um die aufgrund seines Verhaltens entstandene Besorgnis der Befangenheit zu entkräften. Da die konkrete Möglichkeit bestehe, dass ohne seine Mitwirkung die Entscheidung anders ausgefallen wäre, sei der formelle Fehler auch beachtlich.

Ein weiterer formeller Fehler liege darin, dass das Landratsamt von einer Anhörung der Klägerin vor Erlass der Verfügung abgesehen habe. Dieser Anhörungsmangel sei auch nicht nachträglich geheilt worden. Denn der Beklagte habe die getroffene Entscheidung verteidigt, ohne sich ergebnisoffen mit dem Vorbringen der Klägerin auseinanderzusetzen. Zudem habe er die Anhörungsfrist verkürzt und somit erkennbar an dem Standpunkt festgehalten, dass es keiner Anhörung bedurft habe. Ob die vorläufige Dienstenthebung auch materiell rechtswidrig sei, könne danach offen bleiben. Allerdings dürften die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorliegenden Erkenntnisse und vorhandenen Ermittlungsergebnisse keine tragfähige Grundlage für eine weitere Aufrechterhaltung der vorläufigen Dienstenthebung bieten. Der Beklagte sei seiner Amtspflicht, die vorläufige Dienstenthebung fortlaufend unter Kontrolle zu halten, d.h. laufend zu überprüfen, ob sie noch recht-, zweck- und verhältnismäßig ist, nur unzureichend nachgekommen.

Die Revision wurde nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision kann binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt werden (Az.: DL 16 S 752/22).

 

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