Die Klägerin beabsichtigte, während der Beratungszeiten der Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle auf der der Beratungsstelle gegenüberliegenden Straßenseite einer vierspurigen und vielbefahrenen Straße für die Dauer von vierzig Tagen mit bis zu 20 Teilnehmern eine Versammlung zum Thema „40 Days for Life / Lebensrecht ungeborener Kinder“ mit einem täglichen stillen Gebet und einer Mahnwache durchzuführen.
Mit Bescheid vom 28.02.2019 erließ die beklagte Stadt gegenüber der Klägerin unter anderem die Auflage, dass die beabsichtigte Versammlung während der Beratungszeiten der Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle nur außerhalb direkter Sichtbeziehung zum Gebäudeeingang derselben stattfinden dürfe.
Die nach Ablauf des Versammlungszeitraums von der Klägerin erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 12.05.2021 ab (vgl. Pressemitteilung des VG Karlsruhe vom 14.05.2021).
Auf die Berufung der Klägerin hat der 1. Senat des VGH entschieden, dass die genannte versammlungsrechtliche Auflage rechtswidrig gewesen ist. Zur Begründung hat er u. a. ausgeführt:
Die Behörde könne eine Versammlung von einer solchen Auflage nur abhängig machen, wenn die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet wäre. Dies sei hier nicht der Fall gewesen.
Dabei könne zwar das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Frauen, die eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle aufsuchten, durch eine Versammlung von Abtreibungsgegnern betroffen sein.
Jedoch führe nicht jeder Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frauen zugleich zu einer Verletzung desselben. Vielmehr könnten gegenläufige Grundrechtspositionen - hier die Versammlungs-, Meinungs-, und Religionsfreiheit der Versammlungsteilnehmer - zu einer Rechtfertigung von Eingriffen führen.
Dabei sei davon auszugehen, dass eine Versammlung so lange zulässig sei, als sie den die Beratungsstelle aufsuchenden Frauen nicht die eigene Meinung aufdränge und zu einem physischen oder psychischen Spießrutenlauf für sie führe. Dies wäre der Fall, wenn die die Beratungsstelle aufsuchenden Frauen durch die Versammlung in eine unausweichliche Situation gerieten, in der sie sich direkt und unmittelbar angesprochen sehen müssten. Eine derartige unausweichliche Situation sei gegeben, wenn die Versammlung so nahe an dem Eingang der Beratungsstelle stattfinde, dass die Versammlungsteilnehmer den Frauen direkt ins Gesicht sehen könnten und die Frauen dem Anblick der als vorwurfsvoll empfundenen Plakate sowie Parolen und dem Anhören der Gebete und Gesänge aus nächster Nähe ausgesetzt seien.
Die Beklagte habe in dem hier zu entscheidenden Fall nicht hinreichend dargelegt, dass es bei der Versammlung der Klägerin zu einer derartig unausweichlichen Situation für die die Beratungsstelle aufsuchenden schwangeren Frauen hätte kommen können.
Die Revision wurde nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision kann binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt werden (Az.: 1 S 3575/21).