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Land muss über Genehmigungsantrag für Windpark Hohfleck/Sonnenbühl entscheiden

Datum: 01.07.2022

Kurzbeschreibung: Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit einem heute den Verfahrensbeteiligten zugestellten Urteil das beklagte Land Baden-Württemberg dazu verpflichtet, über einen Antrag auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von fünf Windkraftanlagen auf der Gemarkung Undingen, Gemeinde Sonnenbühl (Windpark Hohfleck/Sonnenbühl), zu entscheiden.

In dem seit dem Jahr 2014 laufenden behördlichen Genehmigungsverfahren hatte das Landratsamt Reutlingen den Genehmigungsantrag der Klägerin, eines Windkraftunternehmens, zunächst Ende 2016 mit der Begründung abgelehnt, die geplanten Anlagen befänden sich in einem geschützten Umgebungsbereich des Schlosses Lichtenstein und seien denkmalschutzrechtlich nicht genehmigungsfähig. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hob das Verwaltungsgericht Sigmaringen mit Urteil vom 14. Februar 2019 die behördlichen Bescheide auf und verpflichtete das Land Baden-Württemberg, über den Genehmigungsantrag erneut zu entscheiden (vgl. Pressemitteilung VG Sigmaringen vom 11. Juni 2019). Der gegen dieses Urteil gerichtete Antrag des Landes auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg; der VGH lehnte den Antrag mit Beschluss vom 20. April 2020 ab.

Das beklagte Land hat der Verpflichtung zur erneuten Entscheidung über den Genehmigungsantrag bis heute nicht entsprochen. Auf die von der Klägerin erhobene sogenannte Untätigkeitsklage hat der (nach einer Gesetzesänderung mittlerweile erstinstanzlich zuständige) Verwaltungsgerichtshof das Land in seinem heutigen Urteil (erneut) verpflichtet, über den Genehmigungsantrag zu entscheiden.

Den darüber hinausgehenden Antrag der Klägerin auf Verpflichtung des Landes zur Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung unter Beifügung bestimmter (von der Klägerin formulierter) artenschutzrechtlicher Auflagen hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch abgewiesen. Zur Begründung seines Urteils hat der 10. Senat ausgeführt:

Aus der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzverpflichtung der Gerichte in Verbindung mit der gerichtlichen Amtsermittlungspflicht ergäbe sich zwar die grundsätzliche Pflicht der Verwaltungsgerichte, insbesondere durch Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung die Sache „spruchreif zu machen“, d. h. insbesondere die notwendige Sachverhaltsermittlung durchzuführen, um einen rechtlichen Konflikt durch eine verbindliche Entscheidung möglichst unmittelbar (und umfassend) zu beenden. Werde die Behörde lediglich zur Neubescheidung verpflichtet, bestehe die naheliegende Gefahr, dass sich in dem fortzuführenden Genehmigungsverfahren (wie auch im vorliegenden Fall nach Abschluss des ersten gerichtlichen Klageverfahrens) weitere Streitpunkte ergeben, die wiederum weitere Gerichtsverfahren nach sich ziehen und so zu erheblichen Verzögerungen führen könnten. Allerdings gebe es verschiedene Konstellationen, in denen die Gerichte dem Gebot einer umfassenden Streitbeilegung, u. a. aus Gründen der Gewaltenteilung und im Hinblick auf die Funktionsgrenzen gerichtlichen Entscheidens, nicht nachkommen könnten.

So sei es nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung bei komplexen technischen Sachverhalten anerkannt, dass es nicht Aufgabe der Gerichte sei, ein „steckengebliebenes“ Genehmigungsverfahren in allen Einzelheiten (gewissermaßen an Stelle der hierzu berufenen Behörden) durchzuführen. Wenn etwa - wie im vorliegenden Fall - eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht ohne zahlreiche Nebenbestimmungen (Auflagen, Bedingungen usw.) erteilt werden könne, stehe der theoretischen Möglichkeit des Gerichts, mit Hilfe kundiger Sachverständiger ein Auflagenprogramm zu entwickeln und ihm mit dem Tenor des Verpflichtungsurteils Verbindlichkeit verschaffen, regelmäßig entgegen, dass auch individuelle Einschätzungen und Zweckmäßigkeitserwägungen dafür erheblich seien, ob diese oder jene häufig gleichermaßen geeignete Auflage oder sonstige Nebenbestimmung anzufügen sei.

Begrenzt würden die Möglichkeiten gerichtlichen „Durchentscheidens“ zudem in Bereichen, in denen sich in den einschlägigen Fachkreisen und der einschlägigen Wissenschaft noch keine abschließenden Standards naturschutzfachlicher Bewertungen bestimmter (insbesondere artenschutzrechtlicher) Sachverhalte herausgebildet hätten. Fehle es an solchen Standards, stoße die gerichtliche Kontrolle des behördlichen Entscheidungsergebnisses mangels besserer Erkenntnis der Gerichte an Grenzen, weil das Gericht nicht objektiv festzustellen vermöge, ob die behördliche Antwort auf diese Fachfragen richtig oder falsch sei. Stets setze die den Gerichten in diesen Fällen lediglich obliegende Kontrolle der „Plausibilität“ einer behördlichen Entscheidung aber eine behördliche Entscheidung voraus. Verweigere die zuständige Behörde - wie im vorliegenden Fall - die Entscheidung, bleibe dem Gericht (in einem ersten Schritt, ggf. mit den Mitteln des Vollstreckungsrechts) in diesen Konstellationen nichts anders übrig, als die Behörde dazu zu verpflichten, ihrer Pflicht zur Entscheidung nachzukommen.

Gemessen an diesen Maßstäben sei im vorliegenden Fall eine abschließende Entscheidung des Senats über die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens der Klägerin nicht möglich. Weder lasse sich feststellen, dass die zuletzt vom beklagten Land geltend gemachten Einwände gegen die Genehmigungsfähigkeit des Projekts insbesondere in Gestalt des nicht ausreichenden Schutzes der Fledermaus und der Haselmaus durchgriffen. Noch lasse sich feststellen, dass die von der Klägerin im Rahmen ihrer Antragstellung vorgeschlagenen Maßnahmen zum Schutz des Rotmilans bzw. des Schwarzmilans (Beschränkung auf den Tagesbetrieb in den Sommermonaten sowie perspektivisch Installation einer automatisierten Abschalteinrichtung) und von Fledermäusen ausreichten bzw. der Genehmigung nicht weitere Aspekte wie insbesondere der Schutz der Haselmaus und des Alpenbocks entgegenstünden.

Einer naturschutzfachlichen Einschätzung und anschließenden Entscheidung der Genehmigungsbehörde bedürfe insbesondere die Frage, ob die von der Klägerin vorgeschlagenen Betriebsbeschränkungen zum Schutz des Rotmilans bzw. des Schwarzmilans in Gestalt von einer zunächst pauschalen und später ggf. automatisierten kamerabasierten Abschaltung ausreichend seien. Darüber hinaus sei unter anderem auch unklar, auf welche naturschutzfachlichen Erkenntnisse der Beklagte die im Laufe des gerichtlichen Verfahrens geäußerte Einschätzung stütze, der Genehmigungsfähigkeit des Windkraftvorhabens stehe derzeit ein unzureichender Schutz von Fledermäusen entgegen. Auch habe das beklagte Land nicht mitgeteilt, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen es eine Aktualisierung der von der Klägerin vorgelegten Untersuchung zum örtlichen Fledermausbestand für erforderlich halte.

Das Urteil des VGH ist noch nicht rechtskräftig (10 S 848/21). Die Revision wurde nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision kann binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt werden.

 

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