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Sperrzeiten in der Heidelberger Altstadt: Urteilsgründe zur teilweise erfolgreichen Normänderungsklage liegen vor

Datum: 23.12.2024

Kurzbeschreibung: 

Der 6. Senat des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) hat, wie bereits berichtet (vgl. Pressemitteilung vom 30. Oktober 2024), im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2024 die beklagte Stadt Heidelberg verurteilt, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats über eine Änderung der Verordnung der Stadt Heidelberg über die Verlängerung der Sperrzeit in der Altstadt vom 24. Juli 2018 in Gestalt der Änderungsverordnung vom 17. Oktober 2019 zu entscheiden. Im Übrigen hat er die Klagen abgewiesen und die Berufungen zurückgewiesen. Zu diesem Urteil liegen nun die Urteilsgründe vor.

Sperrzeiten in der Heidelberger Altstadt: Urteilsgründe zur teilweise erfolgreichen Normänderungsklage liegen vor     

Der 6. Senat des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) hat, wie bereits berichtet (vgl. Pressemitteilung vom 30. Oktober 2024), im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2024 die beklagte Stadt Heidelberg verurteilt, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats über eine Änderung der Verordnung der Stadt Heidelberg über die Verlängerung der Sperrzeit in der Altstadt vom 24. Juli 2018 in Gestalt der Änderungsverordnung vom 17. Oktober 2019 zu entscheiden. Im Übrigen hat er die Klagen abgewiesen und die Berufungen zurückgewiesen. Zu diesem Urteil liegen nun die Urteilsgründe vor.

Zur Begründung seines Urteils hat der 6. Senat unter anderem ausgeführt:

Die auf Änderung der aktuellen Sperrzeitverordnung der Beklagten gerichteten Klagen seien als allgemeine Leistungsklagen statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie seien auch teilweise begründet.

Die Kläger hätten aufgrund der mit der nächtlichen Lärmbelastung einhergehenden Gesundheitsgefahren ausnahmsweise individuelle Ansprüche auf Normänderung. Aufgrund des Ausmaßes der bei Ausnutzung der geltenden Sperrzeiten hervorgerufenen nächtlichen Lärmbelastungen sowie der damit verbundenen Gesundheitsgefahren verbleibe der Beklagten mit Blick auf das „Ob“ der begehrten Normänderung kein normgeberisches Ermessen. Die Kläger seien in den Nachtstunden unzumutbaren Lärmimmissionen, die auf den Betrieb der Gaststätten in der Heidelberger Altstadt zurückzuführen seien, ausgesetzt. Aus dem vom Senat eingeholten Lärmgutachten ergebe sich, dass der für Kern- und Mischgebiete sowie für urbane Gebiete geltende Immissionsrichtwert von nachts 45 dB(A) an den maßgeblichen Immissionsorten bei den Klägern in der Nachtzeit regelmäßig in einem Ausmaß durch gaststättenbezogenen Lärm überschritten werde, das auch unter Berücksichtigung der Herkömmlichkeit und Sozialadäquanz des Lärms nicht mehr zumutbar sei. Die erhebliche Überschreitung der Lärmrichtwerte sei nicht nur in den Sommermonaten, sondern - abgesehen von wenigen kurzen Schlechtwetterperioden (Frost, Dauerregen) - ganzjährig zu verzeichnen. Ebenso habe die Beweisaufnahme ergeben, dass die Überschreitungen der Lärmrichtwerte maßgeblich auf gaststättenbezogenen Lärm zurückzuführen seien. Die vielen Gaststätten in der Heidelberger Altstadt zögen ein großes ausgehfreudiges Publikum an und schafften damit in den Abend- und Nachtstunden eine konfliktträchtige Gemengelage in der näheren Umgebung der Wohnungen der Kläger, die durch eine Gesamtgeräuschkulisse geprägt sei, zu der insbesondere sich im Freien aufhaltende Personen gehörten, die auf dem Weg zu einer Gaststätte hin oder von ihr weg seien, die von Gaststätte zu Gaststätte zögen oder vor den Gaststätten tränken, rauchten und feierten, ohne dass der Lärm einer bestimmten Gaststätte zugeordnet werden könnte. Die Häufigkeit und die Deutlichkeit der Überschreitung der Immissionsrichtwerte bis weit nach Mitternacht sei auch mit dem öffentlichen Bedürfnis nach Bewirtungsangeboten nicht zu rechtfertigen. Die Prägung der Altstadt als Ausgehviertel könne auch unter dem Aspekt der Sozialadäquanz das menschliche Bedürfnis nach einem Mindestmaß an Nachtruhe nicht vollständig überlagern. Die aktuell geltenden Sperrzeiten griffen zu spät ein, um ein ausreichendes Maß an Nachtruhe zu gewährleisten und damit die Anwohner vor schädlichen Umwelteinwirkungen angemessen zu schützen.

Das normgeberische Ermessen der Beklagten sei dahingehend auf Null reduziert, dass die Sperrzeit in den Nächten zum Samstag und Sonntag sowie zu gesetzlichen Feiertagen spätestens um 1:00 Uhr zu beginnen habe. Zugunsten eines der drei Kläger sei das Ermessen zudem dahingehend reduziert, dass unter der Woche jedenfalls in den Nächten zum Donnerstag und Freitag der Beginn der Sperrzeit auf 0:00 Uhr festzusetzen sei. Maßgeblich hierfür sei, dass die festgestellte Lärmbelastung in den Nächten zum Samstag und Sonntag sowie zu gesetzlichen Feiertagen für sämtliche Kläger die Schwelle zur Gesundheitsgefahr überschreite. Für einen der Kläger gelte dies auch für die Nächte zum Donnerstag und Freitag. Die Schwelle der Gesundheitsgefahr sei überschritten, wenn es im Bereich der Wohnungen der Kläger zur Nachtzeit regelmäßig zu einem Beurteilungspegel von über 60 dB(A) komme. Bei diesem Außenpegel setze die theoretische Aufweckgrenze ein und könnten langfristig Gesundheitsgefährdungen auftreten. Werde die maßgebliche untere Grenze für das menschliche Schlafbedürfnis, die typischerweise bei sechs Stunden liege, regelmäßig unterschritten, drohten erhebliche Gefahren für die Gesundheit.

Hinsichtlich der weiteren Wochentage und soweit auch die übrigen Kläger eine längere Sperrzeit in den Nächten zu Werktagen beanspruchten, seien die hohen Voraussetzungen für einen entsprechenden Normänderungsanspruch mangels Überschreitung des zur Bejahung der Gesundheitsgefahr herausgearbeiteten Schwellenwerts nicht erfüllt.

Andere gleich geeignete und überdies zumutbare Mittel, um die Lärmbelastung auf ein vertretbares Maß zurückzuführen, seien nicht ersichtlich. Den Klägern sei es nicht mehr zumutbar, das Wirksamwerden weiterer „flankierender Maßnahmen“, um deren Umsetzung sich die Beklagte seit Erlass der Sperrzeitverordnung vom 24. Juli 2018 bemühe, abzuwarten. Sie könnten auch nicht darauf verwiesen werden, passive Schallschutzmaßnahmen - wie etwa den Einbau von besonderen Schallschutzfenstern - zu ergreifen.

Der Senat übersehe bei alledem nicht, dass die hier für erforderlich erklärte Verlängerung der Sperrzeiten in die Grundrechte der Gaststättenbetreiber und Gaststättenbesucher eingreife. Dieser Eingriff sei jedoch zum Schutz des von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten lebensnotwendigen Schlafs der Kläger gerechtfertigt.

Den exakten räumlichen Geltungsbereich der geänderten Sperrzeiten habe die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen selbst zu bestimmen. In ihrem Ermessen verbleibe ferner, ob sie für bestimmte Tage im Jahr oder anlässlich besonderer Ereignisse eine abweichende Sperrzeitenregelung treffen möchte. Allerdings müsse eine solche Ausnahmeregelung auf seltene Ereignisse beschränkt bleiben und dürfe nicht dazu führen, die nach den vorstehenden Ausführungen zwingend gebotenen Regelungen der Sperrzeiten zu unterlaufen.

Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde vom VGH nicht zugelassen. Dagegen können die Beteiligten binnen eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesverwaltungsgericht erheben (Az. 6 S 2828/19).