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Putenhaltung: Urteilsgründe zur teilweise erfolgreichen Klage eines anerkannten Tierschutzvereins liegen vor

Datum: 05.04.2024

Kurzbeschreibung: Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat, wie bereits berichtet (vgl. Pressemitteilung vom 8. März 2024), in seinem im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 7. März 2024 ergangenen Urteil das beklagte Land verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf tierschutzrechtliches Einschreiten gegen einen Putenmastbetrieb im Landkreis Schwäbisch Hall unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden. Im Übrigen wies er die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart zurück. Zu diesem Urteil liegen nun die Urteilsgründe vor.

Putenhaltung: Urteilsgründe zur teilweise erfolgreichen Klage eines anerkannten Tierschutzvereins liegen vor

Zur Begründung seines Urteils hat der 6. Senat unter anderem ausgeführt: 



Der Kläger habe mit Blick auf die Haltungsbedingungen im Betrieb des zum Rechtsstreit beigeladenen Geflügelhofs keinen Anspruch auf die primär erstrebte vollständige Untersagung der Putenhaltung, weil eine solche sich als unverhältnismäßig erwiese. Zwar träten im Betrieb der Beigeladenen in einem gewissen Umfang – wie generell in der konventionellen, an den „Bundeseinheitliche[n] Eckwerte[n] für eine freiwillige Vereinbarung zur Haltung von Mastputen“ (sog. Puteneckwerte 2013) orientierten Mastputenhaltung in Deutschland – gesundheitliche Beeinträchtigungen der Tiere wie insbesondere das sog. Beschädigungspicken und daraus resultierende Verletzungen, Fußballenentzündungen, Gefiederverschmutzungen und Brusthautveränderungen auf. Es stünden jedoch mildere Mittel als eine Haltungsuntersagung zur Verfügung, um im Betrieb der Beigeladenen effektiv eine aufgrund dieser Beeinträchtigungen der Tiere möglicherweise nicht gegebene tierschutzgerechte Haltung sicherzustellen. In Betracht kämen etwa eine deutliche Reduzierung der Besatzdichte, Maßnahmen zur Strukturierung des Stalles, eine Anreicherung an Beschäftigungsmöglichkeiten für die Tiere sowie nähere Maßgaben zur Art der Einstreu und diesbezüglichen Erneuerungsintervallen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beigeladene auf eine Verbesserung der Haltungsbedingungen gerichtete Einzelanordnungen nicht befolgen würde, seien nicht ersichtlich.

  

Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Untersagung der Putenhaltung aufgrund des Umstands, dass die Beigeladene Puten der Zuchtlinie „B.U.T. 6“ halte, die nach Auffassung des Klägers das Ergebnis verbotener Qualzucht seien. Hierfür fehle es zum einen an einer tauglichen Anspruchsgrundlage im nationalen Recht, insbesondere könne § 11b TierSchG nicht herangezogen werden. Denn die Beigeladene sei nicht Züchterin, sondern Halterin. Eine Rechtsgrundlage, die die Untersagung der Haltung qualgezüchteter Tiere ermögliche, ergebe sich ferner nicht unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorschriften. Darüber hinaus könne auch in tatsächlicher Hinsicht nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei Puten der genannten Zuchtlinie um qualgezüchtete Tiere im Sinne des § 11b TierSchG handele. 



Des Weiteren habe der Kläger keinen Anspruch auf Untersagung der Putenhaltung aufgrund des Umstands, dass die Beigeladene schnabelkupierte Puten halte. In diesem Zusammenhang bedürfe es keiner Entscheidung der zwischen den Beteiligten umstrittenen Frage, ob die im Weg des Infrarotlaserverfahrens vorgenommene Kürzung des Oberschnabels der Tiere bei diesen zu langanhaltenden oder gar chronischen Schmerzen führe. Denn zum einen fehle es auch insoweit an einer tauglichen Rechtsgrundlage, weil die Beigeladene die in Rede stehende Schnabelkürzung nicht selbst vornehme. Zum anderen erwiese sich eine Untersagungsverfügung gegenüber der Beigeladenen als ermessensfehlerhaft, weil die eigentliche und wesentliche Ursache für möglicherweise amputationsbedingte (längerfristige) Schmerzen der Puten allein durch die Brüterei gesetzt werde, die die Kürzung des Schnabels vornehme. 



Die Klage habe indes mit dem hilfsweise gestellten Neubescheidungsantrag Erfolg. Der Kläger könne von dem beklagten Land verlangen, dass dieses über seinen Antrag auf tierschutzrechtliches Einschreiten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats eine neue Entscheidung treffe, weil die Haltung der Puten im Betrieb der Beigeladenen nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche. § 2 Nr. 1 TierSchG wolle sicherstellen, dass die Haltungsform artgemäß sei und die entsprechenden Bedürfnisse der Tiere nicht unangemessen zurückgedrängt würden. Eine Unterbringung sei verhaltensgerecht, wenn sie den Grundbedürfnissen des Tieres Rechnung trage. Hierzu zählten neben der Nahrungsaufnahme und dem Eigenpflegeverhalten auch das Ruhe- und Sozialverhalten eines Tieres. Welche Ernährungs-, Pflege- und Verhaltensbedürfnisse Tiere hätten, sei mangels detaillierter Vorgaben im Gesetz jeweils im Einzelfall bezogen auf die konkret betroffenen Tiere zu ermitteln. Entgegen der Auffassung des Beklagten und der Beigeladenen könnten die in den Puteneckwerten 2013 niedergelegten Haltungsmodalitäten nicht als Maßstab für eine art- und bedürfnisgerechte Ernährung, Pflege und Unterbringung von Puten herangezogen werden. Sie stellten bereits keine als sog. antizipiertes Gutachten einzuordnende fachwissenschaftliche Einschätzung dar, weil sie den an ein solches Gutachten zu stellenden Anforderungen nicht genügten. Ungeachtet dessen ergebe sich aus dem vom Senat eingeholten Sachverständigengutachten, dass bei der Intensivnutztierhaltung von Puten der Zuchtlinie „B.U.T. 6“ unter Einhaltung der Vorgaben der Puteneckwerte 2013 mit einer nicht zu vertretenden Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen sei, dass den Tieren Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. Zur Bestimmung und Verdeutlichung der Anforderungen des § 2 Nr. 1 TierSchG an eine Nutztierhaltung von Mastputen greife der Senat auf die Empfehlungen des Ständigen Ausschusses des Europäischen Übereinkommens zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen in Bezug auf Puten von 2002 sowie auf das eingeholte Sachverständigengutachten zurück. Unter Berücksichtigung dieser Empfehlungen und des eingeholten Sachverständigengutachtens gelange er zu der Überzeugung, dass die Puten im Betrieb der Beigeladenen nicht ihrer Art und ihren Bedürfnissen entsprechend angemessen verhaltensgerecht untergebracht seien. Das von der Beigeladenen praktizierte Haltungssystem, in dem Puten in Herden mit mehreren tausend Tieren sowie in Ställen gehalten würden, die nahezu keine Strukturierungselemente und Rückzugsmöglichkeiten aufwiesen und den Tieren das – insbesondere nächtliche – „Aufbaumen“ nicht ermöglichten, sei mit den Vorgaben des Tierschutzgesetzes nicht vereinbar. In einem solchen Haltungssystem sei ein artgemäßes und bedürfnisentsprechendes Ruhe- und Sozialverhalten der Tiere nicht gewährleistet, womit eine unangemessene Beeinträchtigung ihrer Grundbedürfnisse einhergehe. Dass die Beeinträchtigung des Ruhe- und Sozialverhaltens gravierend sei, werde dadurch bestätigt, dass eine Haltung unter den aktuell praktizierten Bedingungen ohne den massiven tierschädigenden Eingriff einer Teilamputation des Schnabels in der Regel nicht möglich sei, da das Verletzungsrisiko für die Puten sonst zu groß wäre. Allein diese Tatsache belege, dass die Tiere kein artgemäßes Normalverhalten zeigen könnten. Insgesamt wögen die festzustellenden Beeinträchtigungen elementarer Grundbedürfnisse der Puten so schwer, dass sich wirtschaftliche (Tiernutzungs-)Interessen der Beigeladenen dagegen nicht durchsetzen könnten. 



Die im Rahmen des Auswahlermessens zu treffende Entscheidung des Beklagten, welche konkreten Maßnahmen gegenüber der Beigeladenen zu verfügen sind, werde durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet und beschränkt. Der Beklagte werde bei der Wahl des Eingriffsmittels die festgestellte unangemessene Beeinträchtigung des Ruhe- und Sozialverhaltens der Puten sowie die hierfür als ursächlich identifizierten Faktoren zu berücksichtigen haben und auf Grundlage dessen Maßnahmen auszuwählen haben, die geeignet seien, die genannten Verstöße zu beseitigen bzw. für die Zukunft zu verhüten. 



Nachdem der Beklagte sich mit diesen Fragen noch nicht befasst habe, kämen konkrete Vorgaben des Senats für die vom Beklagten zu treffende Entscheidung hinsichtlich der gegenüber der Beigeladenen zu ergreifenden Maßnahmen aufgrund der zu wahrenden grundgesetzlich vorgegebenen Gewaltenteilung nicht in Betracht.  



Die Revision wurde nicht zugelassen. Dagegen können die Beteiligten binnen eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesverwaltungsgericht erheben (Az.: 6 S 3018/19).

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